Der Power-Ranger in der weissen Unterwäsche steht am geleiteten Abgrund, am Anfang dieses Films, der abträgt, indem er aufträgt. Am Ende des Films begegnen wir ihm wieder, dann ist aber der Schluss der Anfang. Am Anfang des Anfangs deponieren zwei Männer einen in rosa Tuch eingewickelten Menschen vor einer Tür und verschwinden schnell wieder.
Marcin Malaszczak hat in Polen gefilmt, seinem Herkunftsland, in der Ortschaft Siniewka, und dort vor allem in und um das „Krankenhaus für die Behandlung von Geistes- und Nervenkrankheiten und Alkoholismus“. Dass diese Anstalt 1964 gegründet wurde, auf dem Gelände eines einstigen Nazi-Arbeitslagers, das erfahren wir aus dem Katalog, nicht aus dem Film. Malaszczak hat nicht die Absicht, uns mit Fakten zu füttern.
Der Mann, der in Zwangsjacke gebunden an einem Wasserausflussrohr erwacht, wird von einem anderen mit der Wasserflasche versorgt und in sein rosa Zelt aufgenommen. Die Zwangsjacke will er ihm jedoch nicht abnehmen – aus Angst, er könnte etwas stehlen. Die beiden Gestalten im Wald erinnern an Beckett-Figuren, ihr zugleich zielgerichtetes und orientierungsloses Verhalten wird später im Film dominieren.
Denn später sind wir wirklich bei diesen Männern im Krankenheim. Wir sehen sie essen, rauchen, tanzen. Fast durchgehend stumm und eingespielt friedfertig in einem Tagesablauf, der nur weiche Routine zu kennen scheint. Dass diese Männer in einer anderen Welt sein könnten, jeder für sich, die Ahnung hat einem ja schon der Anfang des Films eingeimpft. Und dann gibt es da diese aus dem Auto oder von einem Wagen gefilmte Zufahrt durch das Tor der grossen Hofanlage, eine Sequenz, die ein paar Mal zurückspringt und die gleiche Bewegung wiederholt.
In einer anderen Szene hockt ein älterer Mann im Gang am Boden, an die Wand gelehnt. Ein weiterer kommt rückwärts zu einer Tür heraus und bewegt sich leicht linkisch durch den Gang. Erst als der vierte Mann rückwärts zielstrebig auf den am Boden Hockenden zugeht und ihm ebenso zielstrebig und ohne ihn eines Blickes zu würdigen ausweicht, wird klar, dass hier „der Film“ rückwärts läuft. Nach einem Schwenk auf eine Glastür sehen wir ein paar Katzen da sitzen, die wir schon früher am gleichen Ort gesehen haben. Und bei denen spielt es nun überhaupt keine Rolle, ob sie vorwärts oder rückwärts sitzen.
Sieniawka ist ein Film voller Irritierungen und voller Ordnungsangebote. In der Nähe des Ortes befindet sich eine Tagebau-Anlage. Schicht für Schicht trägt ein riesieger Radbagger die Oberfläche ab. Der Abtrug würde von einem langen Förderband durch die Landschaft transportiert. Allerdings ist das Förderband im Bild leer, auch wenn es lärmend und schnell das Bild in der Mitte zerteilt, in Links und rechts vom Vordergrund in den Horizont.
Einer der Männer, der einzige, der hin und wieder den anderen etwas erzählt, ist schon seit ewigen Zeiten auf dem Hof. Irgendwie scheint er in seiner Rolle zwischen Helfer und Patient zu wechseln. Er erzählt von früher, als zum Krankenhaus noch eine LPG gehörte, welche die Versorgung vor allem mit Kartoffeln sicherstellte. Und er zeigt das zerfallende Kino aus der Zeit des Kommunismus, das schon lange vor sich hin rottet, denn „die Demokratie gibt nichts“.
Spätestens da beginnt man unwillkürlich, die Bilder selber metaphorisch aufzuladen. Die Enttäuschung des Wärters/Patienten über all das, was mit dem Ende des Kommunismus zu Ende ging und seine kurzschlüssige Begrifflichkeit erinnern an die Diskussion, welche der britische Comedian Russell Brand dieser Tage auslöste, als er im Schlagabtausch mit dem News-Journalisten Jeremy Paxman erklärte, es wäre an der Zeit, die Pseudo-Demokratie zu verweigern, nicht mehr abstimmen zu gehen in einem System, das nur den Reichen und Mächtigen zudiene.
Die Angebote und Verknüpfungen welche Malaszczak mit seiner Arbeit macht, unterläuft er aber auch immer wieder geschickt. Die Irrititationen reissen nicht ab. Dass man sich am Ende des Films einen dramaturgischen Reim auf seinen Anfang machen kann, dass man plötzlich zu verstehen glaubt, wofür der kotzende Power-Ranger stehen könnte, schliesst den Prozess nicht ab, sondern schickt einen gleich wieder in die Endlosschleife unter dem Tor hindurch zu den Männern, die sich rückwärts bewegen, was den Katzen egal sein dürfte.
Nachtrag vom 10. November 2013: ARTE-Dokumentarfilmpreis der 37. Duisburger Filmwoche, dotiert mit 6.000 Euro