Unser Freund in Hollywood?

Eben ist die Pressemitteilung vom Bundesamt für Kultur eingetroffen: Der Freund von Micha Lewinsky wird von der dafür zuständigen Schweizer Expertengruppe als Anwärter für den besten fremdsprachigen Spielfilm ins Oscar-Nominationsrennen geschickt. Gratulation an Micha Lewinsky. Die Konkurrenz dürfte allerdings erdrückend sein. Hier die offizielle Mitteilung des Bundesamtes für Kultur.

Basel und die Filmproduktion: Studie vorgestellt

Am Freitagabend hat der noch junge Verein Balimage die kurz nach seiner Gründung in Auftrag gegebene Studie Filmwirtschaft der Kantone BS und BL vorgestellt. Im Auftrag von Balimage, und mit finanzieller Hilfe der Christoph Merian Stiftung hat Roy Schedler, Ex-Geschäftsführer der Solothurner Filmtage, und Mitarbeiter von NonproCons, die Relevanz der Filmwirtschaft und den filmischen Output

 der Region zu erheben versucht. Dies nach dem Vorbild der Rütter-Studie, welche die argumentativen Grundlagen für die heutige Zürcher Filmstiftung lieferte. An die Vorstellung der der Studie schloss eine Podiumsdiskussion zur Frage Braucht die Region Basel eine Filmförderung? an. Auf dem Podium diskutierten Nicolas Bideau, Leiter Sektion Film beim Bundesamt für Kultur, Andres Brütsch, Vizepräsident Zürcher Filmstiftung, Edgar Hagen, Regisseur und Mitglied Balimage, Michael Koechlin, Leiter Abteilung Kultur Basel-Stadt, sowie Silvan Ruessli, Filmförderung Bern. Moderiert wurde die Diskussion von mir, und das ist auch der Grund dafür, dass ich im Moment weder die Resultate der Studie vorwegnehmen, noch mir eine Zusammenfassung der Diskussion anmassen möchte. Ich warte lieber die Medienreaktionen von morgen Montag ab, um an dieser Stelle darauf zurück zu kommen. Ab Montag soll steht übrigens auch die Studie im Volltext als pdf zur Verfügung stehen.

Nachtrag 22.09.08: Die lokalen Print-Medien lassen sich Zeit. Bisher haben weder die BaZ noch die bz zu dem Anlass berichtet. 

Nachtrag 23.09.08: Heute berichtet die BaZ (online nicht greifbar):

 

© Basler Zeitung; 23.09.2008; Seite 7 KulturMagazin

Das Stück vom Kuchen
Neue Studie zur Filmwirtschaft in den beiden Basel
HANNES NÜSSELER

Vergangenes Wochenende diskutierte der Verein Balimage die Zukunft des Basler Films mit Kulturschaffenden und Vertretern von Bund und Kanton.

Zum knapp einjährigen Bestehen von Balimage, dem Verein zur Förderung von Film und Medienkunst in der Region Basel, gab es Torten – keine kalorienhaltigen, sondern Kuchendiagramme. Bestellt hatte die Balimage eine Studie zur «Filmwirtschaft der Kantone BS und BL» bei Kulturmanager Roy Schedler, der die Ergebnisse letzten Freitag vorstellte.

Das ernüchternde Ergebnis: Die beiden Basel kriegen durchs Band die kleinsten Stücke ab, sei es beim Produktionsvolumenanteil an der nationalen Filmproduktion (3,6 Prozent) oder der Filmförderung – mit 432 Franken pro Filmminute belegen die beiden Basel den vorletzten Platz im interkantonalen Vergleich. Umso bemerkenswerter, dass die Basler Filmwirtschaft im Vergleich zu 2004 markant gewachsen ist, um sagenhafte 271 Prozent. Braucht es da, so die provokante Frage von Moderator Michael Sennhauser, überhaupt noch eine Filmförderung?

«Unbedingt», bekräftigte Nicolas Bideau, Leiter Film vom Bundesamt für Kultur, in der Podiumsdiskussion und strich die Bedeutung der Regionen als starke Dialogpartner heraus. Allerdings, so Bideau, habe er sich immer gewundert, warum eine Kulturstadt wie Basel mit 500 000 Franken so wenig Geld für den Film bereitstelle, wo doch ein Budget von mindestens fünf Millionen Franken angebracht wäre – ein Votum ganz im Sinne der versammelten Filmschaffenden.

Auch der Basler Kulturchef Michael Koechlin, der sich in die Rolle des Spielverderbers gedrängt sah, bejahte die Notwendigkeit einer Filmförderung, warnte zugleich jedoch vor der Umverteilung bestehender Subventionen: «Wenn es mehr Geld geben soll, darf es nicht woanders abgezwackt werden», sagte Koechlin und forderte nebenbei heimische Mäzene dazu auf, sich nicht nur für die bildende Kunst zu engagieren.

[…]

Wie geht es weiter? Nicolas Bideau riet zu professionellem politischem Lobbying und regte eine überkantonale Filmförderung in der Art des Westschweizer Fonds Regio Films an. Andres Brütsch empfahl, weniger die ökonomisch marginale Dimension der Basler Filmwirtschaft zu betonen, als vielmehr das öffentliche Verständnis für das Kulturgut Film zu stärken. Michael Koechlin dämpfte die Erwartungen des «urbanen» Films an eine regionale Kooperation, die Tendenz weise eher in Richtung «Stärkung der Volkskultur».

Zudem gebe es für höhere Subventionen schlicht kein Budget. Bevor Balimage deshalb einen Vorstoss wage, solle der Verein das breite Gespräch suchen, um ein geeignetes Fördermodell zu finden – eine Bitte, die der Dokumentarfilmer Edgar Hagen stellvertretend für Balimage gerne beherzigte: «Wir sehen die Herausforderungen und wollen nicht alle Last auf die Schultern von Herrn Koechlin laden.»

 

Welthund auf lokaler Rekordjagd

Foto vom Dreh von Welthund (c) WH Productions

Der „erste Oberbaselbieter Spielfilm“ Welthund (Besprechung) zeigt einmal mehr, dass lokale Produktionen für ein lokales Publikum auch dann sehr attraktiv sein können, wenn sie technisch oder künstlerisch nicht ins Spitzenfeld gehören. Lokal verankertes Kino ist so selten geworden, dass es tatsächlich Ereignischarakter bekommt. So meldet die Basellandschaftliche Zeitung heute:

Basellandschaftliche Zeitung / MLZ; 03.09.2008; Seite 11

«Welthund» bricht Rekord

«Welthund», der erste Oberbaselbieter Kinofilm, hat im Liestaler Kino Sputnik für die absolute Traumauslastung gesorgt: Die meisten Vorstellungen waren ausverkauft. Soweit sich die Besucherzahlen zurückverfolgen lassen › bis ins Jahr 1992 › hat noch kein einziger Film für ein derart volles Kino gesorgt. In den ersten zwei Wochen vom 14. › 28. August sahen sich exakt 1500 Menschen den Film des Regisseurs Ueli Ackermann im Liestaler Sputnik und im Gelterkinder Marabu, das mit dem Sputnik zusammenarbeitet, an. Für den absoluten Besucherrekord reichte es indes nicht ganz: «Mein Name ist Eugen» von 2005 schlägt den «Welthund» knapp um 42 Zuschauer. (bz)

Dass solche lokale Erfolge allerdings nur bedingt „exportfähig“ sind, zeigte sich am seinerzeit in Basel enorm erfolgreichen Dokumentarfilm Der letzte Coiffeur vor der Wettsteinbrücke von Jacqueline Falk und Christian Jamin. Was in Basel die Leute in Scharen ins Kino lockte, war andernorts, ohne die lokale Verankerung, „bloss“ ein charmanter kleiner Dokumentarfilm über einen alten Handwerker.

Kameramann Matthias Kälin ist gestorben

Szenenbild aus "Josephson Bildhauer" von Kälin und MerzGestern, am 1. September 2008, ist mit nur 55 Jahren der Schweizer Kameramann Matthias Kälin gestorben. Er hat in jüngerer Zeit die Kamera geführt bei «Max Frisch Citoyen» von Matthias von Gunten, «Dutti der Riese» von Martin Witz, «Salonica» von Paolo Poloni oder bei der «Tunisreise» von Bruno Moll. Zusammen mit Laurin Merz hat er überdies den Film «Josephson Bildhauer» gemacht.

Auf der Website der Solothurner Filmtage gibt es eine Kurzbio als pdf und bei Le Temps online einen Nachruf von Norbert Creutz. Matthias Kälin war vielen Filmemacherinnen und Filmemachern ein Freund und geschätzter Mitarbeiter, seine jüngste Arbeit hätte ein neuer Film von Patricia Plattner sein sollen. In der Nacht vom Sonntag auf Montag ist er an seiner Krebserkrankung gestorben.

Filmpodcast Nr. 90: Noch mehr Filmfestival Locarno.

Hier ist Michael Sennhauser mit der 90. Ausgabe von Kino im Kopf. Wir sind noch immer in Locarno am Filmfestival, und in diesem Podcast hören Sie eine Auswahl von Beiträgen der letzten 7 Tage. Wir stellen die Piazza-Filme «Nordwand» und «Marcello Marcello» vor, die Schweizer Dokumentarfilme «No more Smoke Signals» und «Bill – das absolute Augenmass» sowie den Schweizer Wettbewerbsbeitrag «Un autre homme» von Lionel Baier. Dazu noch zwei Beiträge zur Schweizer FIlmpolitik, der eine zur Filmföderungspressekonferenz, der andere zum Tag des Schweizer Films in Locarno. Kurztipps und Soundtrackspiel haben wir auch; mehr zu den Filmen im regulären Kinoangebot gibt’s dann wieder in der Filmrolle der kommenden Woche.


Nachtrag: Hier gibts die live-Bilanz-Reflexe-Runde mit Gerhard Midding und Herbert Spaich von heute 11 Uhr zum nachhören:


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Locarno: Sonntagsschlange für Max Bill

Anstehen für Max Bill in Locarno (c) sennhauserDie Semaine de la critique in Locano zieht immer viele Leute an, zumal jeder Film nur zweimal gezeigt wird. Aber wenn Schweizer Film Premieren auf dem Programm stehen, ist das Gedrängel in der Regel besonders gross, weil auch alle Medienvertreter unbedingt dabei sein müssen. So hat die Uraufführung von Erich Schmids Dokumentarfilm Max Bill – Das absolute Augenmass wieder zum Sturm des Kursaalkinos geführt.

Locarno: Bideau lässt die Produzenten auf die Autoren los

BAK Chef Jauslin und Filmchef Nicolas Bideau an der PK In Locarno (c) sennhauser
BAK Chef Jauslin und Filmchef Nicolas Bideau an der PK In Locarno (c) sennhauser

Ich gebe es ja zu: Der Titel ist ein wenig zugespitzt. Aber in der Fortsetzung der Geschichte vom 24. Juli hat Nicolas Bideau heute in Locarno die Diskussion um die Autorenfilmer und ihre Produzenten eröffnet. Am Filmfestival in Locarno gab das Bundesamt für Kultur seine traditionelle Pressekonferenz. Dabei hat Nicolas Bideau, der Chef der Bundesfilmförderung, einen ziemlich radikalen Wechsel in der Autorenfilmförderung angekündigt: In Zukunft sollen Autorenspielfilme nur noch subventioniert werden, wenn ein professioneller Filmproduzent dahinter steht. Hier unser Echo der Zeit Beitrag zum Nachhören: [audio:
http://sennhausersfilmblog.ch/wp/wp-content/uploads/2008/08_08_aug/download/BideauPKLocarno.mp3]

Alexander J. Seiler zum 80. Geburtstag

Alexander J. Seiler (Foto von Swissfilms)Heute vor 80 Jahren, am 6. August 1928, wurde in Zürich einer der heimlichen Revolutionäre des Schweizer Films geboren. Alexander J. Seiler, Theaterwissenschaftler, Filmemacher, Publizist. Mit Dokumentarfilmen wie «Siamo Italiani» von 1964, mit kulturpolitischen Initiativen und mit unzähligen Aufsätzen und Publikationen hat sich Alexander Seiler unermüdlich eingemischt in die «eigenen Angelegenheiten» der Schweiz. Ein tönender Geburtstagsgruss:

Bideau schmeisst wieder Steine ins Wasser

Nicolas Bideau in Cannes Mai 2008 (c) sennhauser

Kurz vor dem Filmfestival Locarno und dem von ihm veranstalteten Tag des Schweizer Films, versucht Bundesfilmchef Nicolas Bideau wieder einmal, eine Mediendebatte zur Filmförderung zu lancieren. Wie gewohnt macht er das mit ein paar halbgaren, provozierenden Aussagen zu möglichen Reformen in der Förderpolitik. Und wohl weil ihn in diesem Monat noch niemand freiwillig dazu befragt hat, hat er das einem Journalisten der sda diktiert. Gestern lief das über den Ticker. Nach der Sprungmarke folgt der Text von der sda und unsere Reaktion in DRS2aktuell von heute als MP3 zum nachhören:

Nicolas Bideau propagiert neuen Ansatz bei der Filmförderung – Subventionen nurmehr für solide vorbereitete ProjekteGespräch von Philippe Triverio, SDA

Lausanne (sda) Nicolas Bideau bereitet neue Reformen für die Filmförderung vor. Er will Autorenfilme, die solider vorbereitet sind und so mehr Publikum ins Kino locken. Von den Produzenten erwartet er mehr Mut zur Aufgabe gewisser Projekte während der Entstehung.

«Radikale Massnahmen sind nötig, um das Schweizer Autorenkino konkurrenzfähiger und qualitativ höherstehend zu machen», sagte Bideau der SDA. Für den Filmchef des Bundesamts für Kultur (BAK) ist der Begriff «Autorenfilm» synonym mit Kunst- und Experimentalfilm.

Dieses Genre findet derzeit zu wenig Publikum, weil «zu viele Filme vor Drehbeginn ungenügend ausgearbeitet sind». Seiner Meinung nach wird in einer zu frühen Phase der Produktion beim Bund, dem Hauptgeldgeber, Antrag auf Förde-rung gestellt.

«Ich habe zwei Jahre lang Schweizer Filmprojekte durch ausländische Produzenten begleiten und beobachten lassen. Sie sind zum Schluss gekommen, dass unsere Filme zu schlecht vorbereitet in die Phase der Produktion treten.»

«Aber Vorsicht», unterstreicht er, «ich wälze nicht die ganze Schuld auf die Produzenten ab. Möglicherweise haben auch die Subventionsgeber die Bedeutung der Vorbereitungsphase unterschätzt».

Mut zum Rückzug

Bideaus Ansicht nach hat sich das Schweizer Autorenkino nie wirklich mit der Frage der Projektentwicklung auseinandergesetzt. Allzuoft konzentriert sich die Aufmerksamkeit einzig auf die Realisation und den Regisseur.

«Aber die Konkurrenz wird immer stärker. Deshalb braucht es auch die Bereitschaft, ein laufendes Projekt fallen zu lassen und die zentrale Rolle des Produzenten in dieser Projektphase anzuerkennen. Denn der Produzent ist am besten dazu geeignet, das künstlerische Universum des Autors auf die Leinwand zu bringen».

Im Ausland sei es absolut normal im Autorengenre, ein Projekt zu entwickeln und dennoch nicht zu realisieren. «Dort werden nur die die solides-ten Projekte auch wirklich gedreht. In der Schweiz dagegen wird die Arbeit an einem Film selten abgebro-chen».

Gegen das Giesskannenprinzip

Nicolas Bideau gibt zu, dass das BAK selbstkritisch über die Bücher gehen muss. Bisher sei zu sehr nach dem Giesskannenprinzip gefördert worden: zu kleine Beiträge an zu viele Produktionsfilme.

Das sei mit ein Grund, dass die Projekte ungenügend ausgear-beitet seien, denn es sei sehr schwierig, anderswo als aus der öffentlichen Hand Unterstützung für die Ent-wicklungsphase zu bekommen. Bideau zieht darum in Erwägung, weniger Produktionsfirmen zu unterstützen, dafür mit höheren Beiträgen.

«Das sollte die Qualität der Projekte verbessern», so der BAK- Filmchef. «Die Subventionshöhe muss noch mit der Branche und meinen Vorgesetzten ausgehandelt werden. Letztere unterstützen aber prinzipiell das geplante Vorgehen».


Mein Kommentar dazu im Gespräch mit Ellinor Landmann von DRS2aktuell: Bideaukommentar 080724.mp3

61. Filmfestival Locarno: Programm-Pressekonferenz in Bern

Festivalchef Frédéric Maire im grossen Saal des Berner Bellevue (c) sennhauser
Festivalchef Frédéric Maire im grossen Saal des Berner Bellevue (c) sennhauser

Jetzt hat auch bei der traditionellen Juli-PK des Locarno Filmfestivals die Neuzeit Einzug gehalten. Während früher die Verantwortlichen jeder Sektion ihr Programm selber ausführlich vorstellten (indem sie mehr oder weniger die Pressemappe vorlasen, welche die Journalisten schon vor sich liegen hatten), war die heutige Veranstaltung knapp und präzise. Marco Solari, Präsident des Festivals, begrüsste, freute sich über die Sponsoren, erklärte, sein Laden sei finanziell derzeit recht stabil, aber man dürfe nie still stehen, alle Festivals seien in Bewegung und das Zürich Film Festival eine ernstzunehmende Konkurrenz (ach ja? Im Hinblick auf die Finanzierung dürfte dies wohl zutreffen. Programmlich darf man da noch eine Weile zu warten, zumal, wenn es um Locarnos traditionelle «Ware», die Neuentdeckungen, geht.). Und dann stellte Frédéric Maire die Schwerpunkte seines dritten (und zweitletzten) Festivals vor, sehr persönlich und sehr überzeugend. Ich meinerseits mache nun eine kleine Rosinenpickerei und erzähle, worauf ich denn so gespannt bin und worauf ich mich freue:

Da steht ganz zuvorderst für mich der Besuch der wunderbaren Anjelica Huston, die den diesjährigen «Excellence Award» bekommt. Spannend dürfte auch die Begegnung mit der New Yorker Produzentin Christine Vachon werden, die den diesjährigen Produzentenpreis bekommt. Vachon hat neben den Weinsteins, Scorsese und allenfalls Woody Allen wohl am meisten für den Ruf New Yorks als Ostküsten-Hollywood getan.

Die Retrospektive, welche dieses Jahr dem römischen Quirl Nanni Moretti gewidmet ist, hat den gleichen Nachteil wie die meisten Locarno-Retros der letzten Jahre: Das Gesamtwerk des Schauspielers und Regisseurs ist noch zu frisch, um viele Neuentdeckungen zuzulassen, zumindest für die professionellen Festivalgänger. Für das Publikum (und für dieses wird das Locarno Festival veranstaltet, das darf ruhig hin und wieder in Erinnerung gerufen werden) ist Moretti aber durchaus eine interessante Figur. Zudem ist die Retrospektive für den politisch engagierten Italiener ein kleiner Coup im Hinblick auf das Konkurrenzfestival in Venedig, das seit Jahren gegen den Ruf ankämpfen muss, von konservativen Politikern gegängelt zu werden.

Bei den Filmen fallen natürlich zuerst immer die grossen Publikumsrenner auf der Piazza Grande ins Auge. Und da sind auch in diesem Jahr ein paar Leckereien zu erwarten. Zum Beispiel der Eröffnungsfilm, eine weitere Verfilmung von Brideshead Revisited, dem Dauerbrenner von Evelyn Waugh. Da Emma Thompson und Michael Gambon mitspielen, hat der Film eine eingebaute Garantie: Den beiden mag man IMMER zusehen, selbst wenn rundherum nichts oder das falsche abgeht. Dann wird auf der Piazza Choke zu sehen sein, ein Film von Clark Gregg, nach einem Buch von Fight-Club-Erfinder Chuck Palahniuk. Und dies auch noch mit Anjelica Huston (siehe oben) in einer tragenden Rolle. Die verunglückte Eiger-Nordwand-Besteigung von 1936 steht im Zentrum von Nordwand von Philipp Stölzl. Absurderweise gehts auch noch weiter mit gezieltem Alpenhorror, in der Fortsetzung des österreichischen Heimat-Slashers In drei Tagen bist Du tot II von Andreas Prochaska, dessen erster Teil in Locarno schon für Gänsehaut bei Genre-Freunden gesorgt hatte. Natürlich soll weiterhin niemand vergrault werden, auch diese Fortsetzung wird auf der Piazza Grande als Mitternachtsfilm laufen. Die lange angekündigte britische Komödie mit Kampf-Kindern, Son of Rambow schafft es nun dieses Jahr doch noch auf die Piazza Grande, nach dem der Film 2007 im globalen Festivalcircuit ziemlich abgeräumt hatte.

Bevor ich mich ins Abtippen der offiziellen Programmlisten versteigere, hier einfach noch ein paar Hinweise auf Filme, auf die ich gespannt bin, auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wie sie dann ausfallen werden: Von Dominique de Rivaz, die den wunderbaren «Mein Name ist Bach» gemacht hat, kommt der neue Film Luftbusiness, der sich um ein paar Typen dreht, die via Internet alles verkaufen, sogar sich selber. Inhaltlich tönt das nach einer modernen Mephisto-Variante. In der Kritikerwoche (deren Ko-Leiter ich bis Ende letzten Jahres war – heute kann ich dafür wieder schamlos Werbung machen), bin ich vor allem gespannt auf Niko von Glasows «NoBody’s Perfect». Der hat aus der Entstehungsgeschichte seines Aktfotobuches mit Contergangeschädigten einen Dokumentarfilm gemacht, bei dem schon die Plakatfrage ziemlich entwaffnend ist: Wer sagt, dass ein Fotomodell Arme haben muss? Zwölf Contergan Geschädigte sind anderer Meinung.

Am 6. August gehts los. Ganz ungeduldige können allerdings schon am 1. August einsteigen: Auf Wunsch von Locarno-Präsident Marco Solari wird das Open-Air-Kino der Piazza Grande vom 1.- 3- August kommerziell genutzt, mit Publikumsfilmen gegen Eintritt. Um so noch einen kleinen Batzen aus der teuren Infrastruktur herauszuschlagen. Das sei allen herzlich gegönnt.