Cannes 13: INSIDE LLEWYN DAVIS von Joel & Ethan Coen

Oscar Isaac ist Llewyn Davis

Llewyn Davis ist nicht Bob Dylan. Er hat weniger Talent, weniger Glück, vor allem aber weniger Charisma. Man könnte sogar sagen, er hat gar keines. Llewyn sei ein Arschloch, sagt die von Carey Mulligan gespielte Jean Berkey, die von ihm schwanger ist. Der neue Film der Coen-Brüder folgt einem Singer/Songwriter/Folksänger im Jahr 1961 auf seiner Odyssee von Couch zu Couch in New York, einem Abstecher nach Chicago und einer nächtlichen Kurve über Akron.

Inside Llewyn Davis heisst die Soloplatte, welche er aufgenommen hat nach dem Selbstmord seines Gesangspartners. Aber die hat auch keiner gekauft, das Publikum steht auf Pop-Folk, auf Peter, Paul and Mary, und Bob Dylan wird erst in ein paar Monaten in die Stadt kommen. Film-ethnographisch gesehen ist Llewyn Davis ein Nachkomme von Barton Fink. „Cannes 13: INSIDE LLEWYN DAVIS von Joel & Ethan Coen“ weiterlesen

Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin

Mathieu Amalric und Benicio del Toro
Mathieu Amalric und Benicio del Toro

‚Psychotherapy of a plains Indian‘ lautet der Untertitel dieser gepflegten Rekonstruktion eines realen Falles aus der Praxis des Pioniers der Ethnopsychoanalyse, Georges Devereux. Und damit ist der Film ein ganz entfernter Verwandter von David Cronenbergs A Dangerous Method.

Allerdings ist die Geschichte des Blackfoot-Indianers Jimmy Picard die eines therapeutischen Erfolges. Und die wirklich spannende Figur ist auch nicht der von Benicio del Toro gespielte Jimmy, sondern viel mehr Georges Devereux, so wie in Mathieu Amalric mit frettchenhafter Fröhlichkeit über die Leinwand wuseln lässt. „Cannes 13: JIMMY P. von Arnaud Desplechin“ weiterlesen

Cannes 13: SOSHITE CHICHI NI NARU – Like Father Like Son – von Hirokazu Kore-Eda

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Was passiert, wenn sich nach sechs Jahren herausstellt, dass der eigene Sohn tatsächlich der Sohn einer anderen Familie ist, dass die Babies seinerzeit im Spital vertauscht worden sind? Kann man die Kinder einfach zurück tauschen, oder sind die sechs Jahre mit einem Kind stärker als die genetische Verwandtschaft?

Mein japanischer Lieblingsregisseur spürt weiter den Familienbanden nach, insbesondere dem Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen, wie schon in Still Walking. Es sei die Geburt seiner eigenen Tochter gewesen, welche seine Frau quasi über Nacht in eine Mutter verwandelt habe, während er selber viel länger gebraucht habe, um sich über seine Vaterschaft klar zu werden, sagt Hirokazu Kor-eda. „Cannes 13: SOSHITE CHICHI NI NARU – Like Father Like Son – von Hirokazu Kore-Eda“ weiterlesen

Cannes 13: LE PASSE von Asghar Farhadi

Tahar Rahim und Bérénice Bejo
Tahar Rahim und Bérénice Bejo

Wenn der Titel A Separation nicht schon besetzt wäre, hätte er auch für diesen Film von Asghar Farhadi perfekt gepasst. Eine Frau (Bérénice Bejo) holt einen Mann (Ali Mosaffa) in Paris am Flughafen ab. Aus ihrem Dialog reimt man sich nach und nach zusammen, dass die beiden verheiratet sind, seit vier Jahren getrennt, und dass er auf ihren Wunsch aus dem Iran zurückgekommen ist, für die Scheidung.

Marie möchte Samir heiraten, ihre Tochter ist dagegen, Samirs Frau liegt im Koma im Spital und Ahmad steht plötzlich mitten drin. Aber, wie zu erwarten bei Farhadi, erschliesst sich das alles Schritt für Schritt aus absolut natürlichen Dialogen heraus. Erzählt wird einmal mehr eine unmittelbare Familiengeschichte, ein Drama um Trennung und Täuschung und falsche Vorstellungen. „Cannes 13: LE PASSE von Asghar Farhadi“ weiterlesen

Cannes 13: TIAN ZHU DING – A Touch of Sin – von Zhangke Jia

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Ein Hauch von Sünde? Der Titel könnte mit der gleichen Ironie auch For a Fistful of Renminbi lauten. Jia Zhangke ist mittlerweile ein Veteran der politisch bissigen chinesischen Filme, und dieser hier beisst nach allen Seiten. Gleichzeitig ist das ein enorm unterhaltsames Stück chinesischer Gegenwartsbewältigung, hundertunddreiunddreissig Minuten mit Power.

Im Prinzip zeigt uns Jia Zhangke all das, was wir vom modernen, sich rasend schnell umbrechenden China zu wissen glauben. Vom gnadenlosen Kampf aller gegen alle, der Aufsteiger gegen die Kleinen und Armen, von skrupellosen Funktionären bis zu den Sexworkern und den Massenfabriken ist alles da. Und alles schlagend, schreiend ungerecht. Und dieser ganzen Ungerechtigkeit stellt der Film die Rachephantasie gegenüber, den blutigen Ausbruch der Ausgebeuteten. „Cannes 13: TIAN ZHU DING – A Touch of Sin – von Zhangke Jia“ weiterlesen

Cannes 13: THE BLING RING von Sofia Coppola

Emma Watson (Mitte) und ihre Mitstreiterinnen
Emma Watson (Mitte) und ihre Mitstreiterinnen

Wohlstandsverwahrloste Teenager, welche in Beverly Hills die Villen ihrer Idole ausräumen … das hat doch seinen Reiz. Jedenfalls wurden die tatsächlichen Mitglieder des von den Medien so genannten „Bling“-Rings zu Facebook-Berühmtheiten. Ein Grund für Sofia Coppola, ihren Protagonistinnen erfundene Namen zu geben. Sie habe verhindern wollen, so die Regisseurin heute an der Pressekonferenz in Cannes, dass sie mit ihrem Film noch zum zweifelhaften Ruhm der Kids beitrage.

Die Sorge muss sie sich wohl nicht machen, die Jugendlichen dieses Films weisen – mit Ausnahme des Jungen im Bunde – wenig sympathische Züge auf. Es sind oberflächliche, labelversessene egoistische Hühner, und ihr Vokabular macht den Film in seinen ersten zwei Dritteln zur Tortur: Oh My God… amazing… totally. „Cannes 13: THE BLING RING von Sofia Coppola“ weiterlesen

Cannes 13: JEUNE ET JOLIE von François Ozon

Marine Vacth, Titelheldin
Marine Vacth, Titelheldin

Frankreichs Wunderkind François Ozon kommt in die Jahre. Fleissig wie Woody Allen produziert er jährlich einen Film, und jedes mal lässt er eine Familie anders taumeln. Nun ist es vielleicht ein wenig paradox, ausgerechnet Ozon Altmännerphantasien zu unterstellen – aber sein neuer Film lebt zu guten Teilen davon. Im Zentrum steht die etwas scheue, aber experimentierfreudige siebzehnjährige Isabelle, die sich nach ihrer Entjungferung durch einen jungen Deutschen in der Sommerfrische rasch zu einem heimlichen Callgirl mausert, mit eigenem Webauftritt. Sie studiert an der Sorbonne und besucht am Nachmittag Hotelzimmer.

Die erste Einstellung des Films ist der Blick eines Voyeurs durch einen Feldstecher auf Isabelle am Strand. Wie sich herausstellt, steht hinter dem Binokular Isabelles jüngerer Bruder Victor, von François Ozon als eine Art Selbstporträt des Künstlers als Knabe angelegt. Das ist alles mindestens so hübsch inszeniert wie das Gesicht und der Körper der schönen Marine Vacth, mit demonstrativem Gespür für die Sehnsüchte und Nöte einer erwachenden Frau … oder dem, was ich als Mann da allenfalls vermute.

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Cannes 13: HELI von Amat Escalante

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Es kommt selten vor, dass das abgebrühte professionelle Medienpublikum im Wettbewerb von Cannes erschreckt aufstöhnt im Kino. Und bei diesem mexikanischen Drama passiert das zwar im richtigen Moment, aber aus dem falschen, oder zumindest dem weniger angemessenen Anlass. Als nämlich ein maskierter bewaffneter Polizist einer Spezialeinheit der zwölfjährigen Estela ihren weissen Hundewelpen aus der Hand nimmt und ihm den Hals umdreht. Zuvor haben die Polizisten schon Estelas Vater erschossen – auf der Suche nach zwei Paketen Kokain.

Heli ist der ältere Bruder von Estela und er trägt indirekt die Schuld. Denn er hat das im Wassertank auf dem Dach versteckte Kokain gefunden und iin einem Wasserloch versenkt. Deponiert hat es der Freund der Zwölfjjährgen, ein nicht viel älterer Polizeikadett. Heli ist ein mexikanischer Film, eine Geschichte rund um die unglaubliche Gewalt in dem Land. Und ein Film, der deutliche Spuren des Einflusses von Carlos Reygadas aufweist.

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Cannes 13: THE GREAT GATSBY von Baz Luhrmann

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Ja, ja, ja. Jay Gatsby ist eine romantische Figur. Er ist der amerikanische Selfmade-Man. Und seine Parties sind meinetwegen mega. Sagte ja F. Scott Fitzgerald selber, allerdings eleganter. Es ist ja auch gar nichts dagegegen einzuwenden, wenn Baz Luhrmann Wege findet, das Spektakel spektakulärer zu machen, das Roaring der Roaring Twenties röhrender und die tragische Figur Gatsby heldenhafter.

Mein Problem mit dieser 3D-Sause ist ganz einfach, dass sie mich kalt lässt. Kälter als Moulin Rouge von 2001, wo Ausstattung und schiere Opulenz noch genügten, um die dünne Figurenzeichnung zu kaschieren. Aber jetzt ist einfach alles zu viel und davon zu wenig. „Cannes 13: THE GREAT GATSBY von Baz Luhrmann“ weiterlesen

LE MAGASIN DES SUICIDES von Patrice Leconte

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von Rolf Bächler

Le Magasin des suicides ist der erste Ausflug des renommierten französischen Realfilmregisseurs Patrice Leconte in die Gefilde der Animation. Leconte ist für seine Leichtigkeit im Umgang mit Humor jeder Schattierung bekannt, unabdingbares Erfordernis für das Gelingen einer Adaption von Jean Teulés gleichnamigem Roman. Eine Art verlorener Sohn, hat er ausserdem, bevor er den Sprung zum Film schaffte, für die legendäre Comic-Wochenzeitschrift Pilote gezeichnet, die damals unter der Leitung von René Goscinny („Asterix“, „Lucky Luke“, etc.) stand. Dennoch… „LE MAGASIN DES SUICIDES von Patrice Leconte“ weiterlesen