Cannes: Die Dardenne-Brüder vs. Marco Tullio Giordano

Arta Dobroshi in Le silence de LornaMonica Belucci in Sangue PazzoWas für ein Kontrast: Jean-Pierre und Luc Dardenne, die schon zwei goldene Palmen zu Hause haben, sind mit Le silence de Lorna hier, Italiens Marco Tullio Giordano mit Sangue pazzo. Und beide habe ich heute morgen Rücken an Rücken gesehen. Der neue Film der Dardenne-Brüder ist so perfekt wie die früheren, allenfalls noch eine Spur perfekter, und damit fast zu geschliffen, aber intensiv und direkt wie immer. Der italienische Film ist eine bombastische Historienschwarte, eine Geschichte, die an Klaus Manns «Mephisto» und die Verfilmung des Theaterstücks von Ariane Mnouchkine erinnert, aber ein Film, der mit seinem Studiodekor eher daherkommt wie Aimee und Jaguar oder sonst einer der neuen deutschen Nazizeit-Filme. Bei den Dardennes manövriert sich die junge Albanerin Lorna in Belgien in eine unmögliche Situation. Um die Staatsbürgerschaft zu erhalten, hat sie gegen Bezahlung auf Zeit einen belgischen Junkie geheiratet. Um zu Geld zu kommen, soll sie danach als Belgierin einen Russen heiraten, ebenfalls auf Zeit. Die ganze dramatische Geschchte erzählen die belgischen Brüder in ihrem souveränen, dokuemtarisch-elliptischen Stil, in dem die Dinge häufig schon passiert sind, wenn man als Zuschauer gerade erst kapiert hat, was sich anbahnt. Einmal mehr gibt es kein Wort und kein Bild zuviel in dem Film — bis zum Ende hin, das mit seinem verzögerten Aufhören für mich eine Knacknuss darstellt (die ich beim Interview mit den beiden Filmemachern zu knacken hoffe). In «Sangue pazzo» dagegen spielt Monica Belucci die italienische Filmdiva Luisa Ferida, Luca Zingaretti ist ihr Mann, der Schauspieler Osvaldo Valenti. Die beiden sind das Glamourpaar von Cinecitta zur Zeit der Faschisten, was ihnen denn schliesslich auch zum Verhängnis wird. In endlosen Rück- und Rückrückblenden erzählt Giordano diese Geschichte um Schuld und Mitläufertum, aber derart melodramatisch und vor allem in einem dermassen überladenen Studiodekor, dass man sich zurückversetzt fühlt ins amerikanische Nazikino der sechziger und Siebziger Jahre. Vielleicht ist die Künstlichkeit der Inszenierung Absicht, vielleicht ist das ganze eine doppelte Hommage an die glorreichen Zeiten von Cinecitta. Aber nach dem Film der Dardenne-Brüder fühlte sich «Sangue pazzo» an, wie eine Bernerplatte nach dem Essen.

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