Cannes: ‚Adoration‘ von Atom Egoyan

Arsinee Khanjian in Atom Egoyans Adoration
Arsinee Khanjian in Atom Egoyans Adoration

Mit seinem letzten Film Where the Truth Lies hat mein armenisch-kanadischer Lieblingsregisseur nicht alle Kolleginnen und Kollegen überzeugt. Und auch sein diesjähriger Cannes-Beitrag Adoration wird die Meinungen weit auseinanderdriften lassen. Ich mag den Film. Es ist wieder ein «richtiger» Egoyan, mit all seinen Obsessionen, von der schichtweisen Aufdeckung eines vergangenen Dramas über das exzessive Spiel mit dem Bild im Bild im Bild (diesmal sind es Computer und Mobiltelefone, welche das Video beisteuern), bis hin zu seinen Fetisch-Schauspielern (zu denen ganz klar seine Frau Arsinée Khanjian gehört). Die Geschichte ist so komplex wiedramatisch, es geht um einen Sohn, der nicht genau weiss, wie es zum Unfalltod seiner Eltern gekommen ist, und um ein Drama-Projekt, das zur Übungsprojektion wird: Was, wenn der Vater ein Terrorist gewesen wäre, der die schwangere Mutter mit einer Bombe in ein Flugzeug geschickt hätte? Zwischendurch wird der Film emorm geschwätzig, wenn Teenager und Erwachsene parallel in Internetchatrooms die Konsequenzen und Motivation eines terroristischen Aktes diskutieren. Der Visualisierung zuliebe lässt Egoyan nicht ganz realistisch die Chatteilnehmer in bester Qualität auf einem mosaikartigen Bildschirm auftauchen. Aber das sind die Elemente, mit denen er seit Family Viewing von 1987 immer wieder exzessiv gespielt hat. In seiner komplexen Struktur erinnert «Adoration» an «The Sweet Hereafter» oder «Exotica», auch wenn der neue Film einen Hang zu kitschig weichgezeichneter Vergangenheit aufweist, der ein wenig befremdet. «Adoration» ist eine clevere Auseinandersatzung mit Hass, Leidenschaft und Motivation, Vorurteilen und Debattierlust. Eine Kopfgeburt, aber sehr kinogerecht.

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