Am Freitagabend werden in Genf die Schweizer Filmpreise 2015 vergeben. Und der einzige Preisträger, der schon feststeht, ist der Eremit vom Genfersee, der ebenso legendäre wie produktive Jean-Luc Godard. Er bekommt den Ehrenpreis für sein filmisches Gesamtwerk.
Jean-Luc Godard ist längst seine eigene Legende. Und niemand weiss, ob er sich darüber freut, oder ob es ihm egal ist. Der heute 85jährige hatte schon 2010 keine Lust, den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk ins Los Angeles abzuholen. Er wolle kein Visum für die USA beantragen und auch nicht so lange fliegen, liess er die Journalisten wissen.
Und zur Weltpremiere seines jüngsten Films, dem in 3D gedrehten Experiment Adieu au langage, ist er letztes Jahr im Mai auch nicht nach Cannes gefahren. Was nicht verhindert hat, dass ihm der Preis der Jury zugesprochen wurde.
Für die einen ist Godard der Gott des intellektuellen Kinos – für die anderen schlicht ein Scharlatan. Ihm selber kamen immer alle Interpretationen entgegen. Jedenfalls hat der einstige Filmkritiker schon mit seinem ersten Spielfilm A bout de souffle von 1960 mit der eigenen Legendenbildung begonnen.
Jean-Paul Belmondo spielte Michel Poiccard, den kleinen Gauner, der das schnelle Leben liebt, die Gefahr, das Risiko und die Unsterblichkeit, die ihm der Tod im Kugelhagel der Polizei einbringt. Der Film, ohne Studio und mit minimalen Mitteln gedreht, wurde zum Symbol der «nouvelle vague», jener neuen Welle im französischen Kino, die aufräumen wollte mit dem opulenten, aber angeblich hohlen Qualitätskino des Bürgertums.
Dabei erklärte Godard selber später, A bout de souffle sei keineswegs der erste Film eines neuen Kinos gewesen, sondern der letzte des alten. Er habe eigentlich ja nur einen amerikanischen Gangsterfilm drehen wollen – mit den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Aber als ehemaliger Filmkritiker erkannte er auch schnell den rufbildenden Wert der offenen Interpretationen.
Das Kino, das sei die Wahrheit – vierundzwanzig mal pro Sekunde. Das ist nur eines der ewig repetierten Godard-Zitate, welche aus dem 85jährigen Eremiten vom Genfersee eine Art Oscar Wilde der Filmgeschichte machen. Dabei war der Satz schon im Original eine Provokation. Er stammt aus Jean-Luc Godards zweitem Film «Le petit soldat» von 1960 und wird dort von der Hauptfigur gesagt, dem in die Schweiz geflüchteten französischen Algerienkrieg-Deserteur Bruno Forestier: «La photographie, c’est la vérité, et le cinéma, c’est vingt-quatre fois la vérité par seconde…»
Der Film wurde von der französischen Zensur drei Jahre lang verboten, unter anderem, weil er die Folter im Algerienkrieg thematisierte – und in diesem Zusammenhang wurde der Satz von der Sekundentakt-Wahrheit im Kino natürlich noch attraktiver.
Dass ein Film einen Anfang brauche, eine Mitte und ein Ende, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge… das ist das zweitbekannteste Godard-Zitat. Und von allen bestimmt das richtigste.
Godard, Sohn eines Schweizer Vaters und einer Mutter aus einer französischen Banquiers-Dynastie, theoretischer Marxist, Revolutionär, Zigarrenraucher, Philosoph und Eulenspiegel, hat weit über hundert Filme gedreht, darunter eine fortgesetzte, ungemein persönliche Geschichte des Kinos, und er hat stets nicht nur mit Bildern gespielt, sondern auch mit Wörtern.
Den Gipfel der ironischen Selbststilisierung erreichte er 1993 mit dem Plakat zu «Hélas pour moi» mit Gérard Depardieu. Da stand am oberen Rand angemessen unbescheiden: GODard deparDIEU.
Am Freitagabend wird Jean-Luc Godard in Genf der Schweizer Filmpreis für sein Lebenswerk überreicht. Ob er ihn persönlich abholen wird, das wissen bis dahin nur die Götter.
Nein, er holt nicht. Sagen die Kollegen in der Romandie heute Abend, 12. März. 2015