TIDES von Tim Fehlbaum (Berlinale 2021, Special)

Nora Arnezeder in ‚Tides‘ von Tim Fehlbaum © Gordon Timpen / BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Zehn Jahre nach der spektakulären Erstlings-Premiere mit «Hell» am Filmfestival in Locarno feiert der Basler Regisseur Tim Fehlbaum im Rahmen des Berlinale Specials die Uraufführung seines Zweitlings. Gestern online für ein internationales Fachpublikum. Und im Juni dann an der geplanten Publikumsberlinale im echten Kinosaal. Tides heisst das postapokalyptische Science-Fiction Spektakel, «Gezeiten». Die schweizerisch-deutsche Koproduktion soll noch dieses Jahr international ins Kino kommen.

Tides beginnt mit einem Absturz, mit der dramatischen Bruchlandung einer Raumkapsel im endlosen Wattenmeer.

Nora Arnezeder in ‚Tides‘ von Tim Fehlbaum © Gordon Timpen / BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Die einzige überlebende Astronautin ist verblüfft, auf der angeblich unbewohnbar gewordenen Erde Überlebende zu sehen, sogar Kinder.

Allerdings wird die von der Französin Nora Arnezeder gespielte Blake von eben diesen im Schlick der Gezeitenwüste lebenden Menschen gefangen genommen und in einen Schacht gesperrt.

Bis zur Brust im Wasser stehend freundet sich Blake mit einem der neugierig hinunterspähenden Kindern an und merkt, dass diese eine ganz eigene Mischung aus den einstigen europäischen Sprachen sprechen

«Vien ahr vo?» — Ach, wo ich herkomme? Vom Planeten Kepler 209, erklärt Blake der kleinen Maila. Und dass die von der verwüsteten Erde dorthin geflüchteten Menschen alle unfruchtbar geworden seien.

«No Kinders?» — Nein, keine Kinder.

‚Tides‘ von Tim Fehlbaum © Gordon Timpen / BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Darum die Raumkapsel, darum die Hoffnung, auf der Erde, der einstigen Heimat, allenfalls wieder bessere Bedingungen vorzufinden. Nun leben auf dieser Erde aber tatsächlich schon wieder andere Menschen, angepasst an die regelmässige Gezeiten-Flutung der Wattlandschaft.

Tim Fehlbaums postapokalyptisches Drama zeichnet sich durch eine ähnlich einzigartige Optik aus, wie sie vor zehn Jahren seinen Erstling Hell geprägt hatte. War es damals eine vom Sonnenlicht tödlich ausgebleichte Welt, ist es heute die endlose, faszinierende Schlickwüste des Wattenmeers mit Wasser und Nebel – und riesigen rostigen gestrandeten Tankerwracks.

‚Hell‘ von Tim Fehlbaum © Vega Distribution

Das ebenso einfache wie wirkungsvolle Gestaltungskonzept von Hell hat Tim Fehlbaum den Weg für diese neue, international ausgerichtete Grossproduktion geebnet. Allerdings hat sich gezeigt, dass die visuelle Einzigartigkeit des Wattenmeers nur schon aus Umweltschutzgründen nicht so einfach einzufangen ist, wie die überbelichtete Welt von Hell es damals war.

Iain Glen in ‚Tides‘ von Tim Fehlbaum © Gordon Timpen / BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Planung, Finanzierung und Logistik dieser schweizerisch-deutschen Grossproduktion nahmen schliesslich mehr als fünf Jahre in Anspruch. International besetzt mit der Französin Arnezeder, dem aus «Game of Thrones» bekannten Schotten Iain Glen, dem Schweizer Jungstar Joel Basman und der aus der Serie «Die Brücke» bekannten Dänin Sarah-Sofie Boussnina, funktioniert Tides mit seiner einfachen, fast archaischen Plotkonstruktion vor allem dank der visuellen Welt, die der Film mit enormer Sorgfalt auf der Leinwand entstehen lässt.

‚Tides‘ von Tim Fehlbaum © Gordon Timpen / BerghausWöbke Filmproduktion GmbH

Dass die Welt von Tides zuweilen an jene von Kevin Costners Waterworld (1995) erinnert, gereicht dem Film übrigens keineswegs zum Nachteil. Einerseits, weil Plot und Figuren vergleichsweise realistisch gehalten sind und damit emotional überraschend tragfähig.

Und zum anderen, weil das Filmteam die Filmgeschichte kennt und einschlägigen Vorgängern mit kleinen Verneigungen die Referenz erweist. Etwa mit einer Puppe, welche Dennis Hoppers Augenklappe aus Waterworld trägt.

Tim Fehlbaum

Eine Antwort auf „TIDES von Tim Fehlbaum (Berlinale 2021, Special)“

  1. „Tides“ auf dem Basler Münsterplatz gesehen. Fantastische Bilder, völlig überdrehter Wumm-Wumm-Sound, dünne Story und eine geschickt kolportierte, bei der Präsentation abermals aufgewärmte Marketingkampagne, wonach der Film angeblich „im Wattenmeer gedreht“ worden sei. De facto fanden ausser den E-Shots sämtliche Aufnahmen bei Bavaria in Bayern statt, die Antwort: Die Tiden zwischen Ebbe und Flut sind viel zu kurz, um ein Set aufzubauen, auszuleuchten, Szenen zu drehen und wieder abzubauen, bevor die herannahende Flut das Set wieder wegspült. So viel zum Thema „im Wattenmeer gedreht“. Da war Fellini mit seinem Plastikplanenmeer bei „E la nave va“ raffinierter. Der Beifall nach der Allianz-Cinema-Präsentation: freundlich kurz.

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