Zombies zur Eröffnung des grössten Filmfestivals der Welt? Das hat schon seine Richtigkeit, wenn der Meister der OSS 117-James-Bond-Parodien dahintersteckt. Schliesslich hat Hazanavicius mit seiner Stummfilmhommage The Artist vor genau elf Jahren hier in Cannes endgültig bewiesen, dass Parodien die schönsten Liebeserklärungen sind. Jedenfalls im Kino.
Einen Oscar, wie mit The Artist, wird er diesmal zwar nicht gewinnen. Aber die Herzen aller Kinofans, für die Genre- und Trash-Filme zum Kino gehören wie Leber und Milz zum menschlichen Körper.
In den ersten Sekunden von Coupez! greift Finnegan Oldfield mit grüngeschminktem Zombie-Gesicht nach einer kreischenden Matilda Anna Ingrid Lutz, die ihn daran erinnert, dass sie es sei, «c’est moi, je t’aime», dass sie ihn liebe… bis er sie beisst.
Dann greift Regisseur Rémi (Romain Duris) ein, staucht die Darstellerin für ihr unglaubwürdiges Weinen heftig zusammen und haut dem beschwichtigend eingreifenden Zombie-Darsteller eine heftige Ohrfeige ins Gesicht.
Es wird klar, wir wohnen den Dreharbeiten eines ziemlich miesen Zombie-Filmes bei. Der Regisseur ist offensichtlich ein Maniac, die von Bérénice Béjo gespielte Darstellerin hat ihre Krav Maga-Moves nicht unter Kontrolle und schlägt schliesslich alles nieder, was sich ihr in den Weg stellt.
Nach einer halben Stunde ist das Meisterwerk abgedreht, die Hauptdarstellerin hat als klassisches «Final Girl» den durchgeknallten Regisseur mit einer Axt zu Hackfleisch zerkleinert – auf einer Treppe, so dass jeder Axtschlag mit einer Blutfontäne ins Bild endet, ohne direkten Blick auf das Opfer.
Und dann, man ist dankbar, dass der Schrott ein Ende gefunden hat, wird die Vorgeschichte des Drehs erzählt.
Wir lernen den durchaus netten, routinierten Regisseur und seine Familie kennen, seinen Produzenten und die japanische Auftraggeberin, welche mit dem Skript für ein halbstündiges One-Take-Zombie-Teil und der Finanzierung angereist ist.
Wir erleben, wie das unwahrscheinliche Projekt zustande kommt, was an schauspielerischen Eitelkeiten und produzentenabhängigen Kompromissen dahinterstecken, und schliesslich erleben wir die tatsächlichen Dreharbeiten.
Und da kommt nun Hazanavicius’ Sinn für Ironie und Timing perfekt zur Geltung. Denn nun erleben wir die erste halbe Stunde aus der Sicht des komplett überforderten Drehteams. Wir verstehen plötzlich, wie und warum die dilettantischen Dialoge improvisiert werden mussten, wie das funktioniert mit den Blutfontänen, und auch, warum die Kamera einmal den Darstellern einfach nicht mehr folgen konnte.
Nun ist Coupez! plötzlich eine hochpräzise, raffiniert komponierte und auch technisch beeindruckende Liebeserklärung an das filmische Handwerk, mit einem gekonnt unterlegten familiären Liebesbogen. Der mündet in ein Fotofinish, das zu Tränen rührt.
Das Ganze ist übrigens das französische Remake eines japanischen Films, was Hazanavicius geschickt integriert hat mit der Übernahme der japanischen Namen und der Auftraggeberin.
Und der Originaltitel des Films war bis kurz vor Festivalbeginn in Cannes noch Z – als Anspielung auf den französischen Ausdruck für jene Art Film, welche die billigen B-Pictures ganz am Ende des Alphabets unterbietet.
Mit Putins Überfall auf die Ukraine hat der Buchstabe «Z» bei den russischen Invasoren und ihren Anhängern allerdings ein finsteres Eigenleben als neues Hakenkreuz entwickelt. Darum hat der Regisseur den Film kurzerhand umbenannt in das durchaus malerisch zu verstehende «Coupez!»
Es ist kein grosser Film, der das 75. Festival de Cannes eröffnet hat. Dafür aber eine grosse Liebeserklärung ans Kino.
Verleih Schweiz: JMH
Filmstart:
Suisse Romande: 18. Mai 2022 (zusammen mit Frankreich)
Deutschschweiz: noch offen