SWEET DREAMS von Ena Sendijarević

Muhammad Khan und Lisa Zweerman © EmoWeemhoff-Lemming Film

Europas koloniale Vergangenheit geistert nur selten im Kino herum. Und wenn, dann lange Zeit verklärend, exotisierend. Da gab es Regis Wargniers Indochine (1992) mit Catherine Deneuve, schwärmerisch und enorm erfolgreich.

Und im gleichen Jahr 1992 L’amant von Jean-Jacques Annaud, nach Marguerite Duras.

Es gibt sogar einen Schweizer Film, Flammen im Paradies (1996) von Markus Imhoof. Da sind es Missionare in Indien, nicht koloniale Direktausbeuter in Indonesien, die im Zentrum stehen. Aber der Titel und die Stimmung kommen Sweet Dreams schon ziemlich nahe.

Die aus Bosnien stammende und in Amsterdam lebende Ena Sendijarević hat weder den schwärmerisch-nostalgischen Blick auf die einstigen holländischen Kolonien in Indonesien, noch den historisch-realistischen, den viele Filmemacherinnen aus den einst kolonialisierten Ländern in den letzten Jahrzehnten gepflegt haben.

‚Sweet Dreams‘ © EmoWeemhoff-Lemming Film

Sweet Dreams ist eine psychologische Groteske, ein Film, der nicht mit Zahlen und Ereignissen argumentiert, sondern mit den seelischen Zerstörungen aller seiner Protagonistinnen und Protagonisten.

Siti (Hayati Azis) ist das indonesische Hausmädchen beim holländischen Zuckerplantagenbetreiber Jan (Hans Dagelet) und dessen Frau Agathe (Renée Soutendijk). Sie ist aber auch die Mutter von Karel. Und der Junge ist ganz unverblümt der Sohn von Jan.

Hayati Azis und Lisa Zweerman © EmoWeemhoff-Lemming Film

So ist es hier eben, die sind alle verrückt, erklärt Jans erwachsener Sohn Cornelis aus Holland seiner schwangeren Frau, als die beiden nach Jans Tod auf der Plantage eintreffen.

Womit allerdings niemand gerechnet hat: Der Alte hat das Haus, die Plantage und die Zuckerfabrik dem kleinen Karel hinterlassen.

Worauf die Holländer erst einmal keinen anderen Weg sehen, als den Kleinen aus dem Weg zu räumen. Nur schon, weil die Leiche des alten Patrons verschwunden ist, und die Ernte- und Fabrikarbeiter streiken, da sie schon lange keinen Lohn mehr erhalten haben.

Sweet Dreams schwankt in Ton und Bild zwischen psychologischem Realismus und satirischer Groteske. Schon die erste Einstellung zeigt den alten Jan mit seinem illegitimen kleinen Sohn auf Tigerjagd. Der Alte sieht keinen Widerspruch darin, den Kleinen mit dem Gewehr schiessen zu lassen und gleichzeitig einen der einheimischen Träger zu demütigen.

Eben so wenig stört er sich daran, dass seine Frau klar weiss, dass er jede Nacht zu Siti schleicht, sie tanzen lässt und sie dann grunzend auf ihrem Bett vögelt, unter dem der kleine Sohn derweilen wartet und die Stösse zählt im Countdown, bis der Alte zusammensackt.

Ena Sendijarević spielt allerdings nicht einfach die Ausbeuter-Herrenmenschen-Klischees durch. Die Holländer sind alle mindestens genau so seelenverkrüppelt wie die Einheimischen, die sich dem Regime gefügt haben.

Siti ist überzeugt, sich umsichtig und zukunftsorientiert pragmatisch zu verhalten, Reza, der sie liebt, wird von ihr auf Distanz gehalten, seine revolutionäre Wut hält sie für sinnlos.

Und wenn es um die erotischen Aspekte geht, um die Ausbeutung von Körpern im Tausch gegen Macht oder weniger Ohnmacht, spielt die Musik auch umgekehrt. Die hochschwangere Frau von Cornelis geniesst Rezas Blick vom Kutschbock auf ihre Brüste und wird später von seinem bösen Lachen gedemütigt, als sie sich mehr erhofft.

Dabei gelingen der Filmemacherin immer wieder überraschende Wechsel in der Dynamik. Es gibt sogar einen Moment, in dem es aussieht, als ob die beiden jüngeren Frauen gemeinsame Sache machen könnten, um aus dem kolonialen Teufelskreis auszubrechen.

Aber auch das erweist sich als hoffnungslos unaufrichtig auf beiden Seiten.

Reza fragt Siti einmal, wie die Welt aussähe, wenn alle, wie sie, nur an sich selber denken würden. Darauf antwortet sie, dass dann wenigstens alle jemanden hätten, der oder die an sie denkt.

Sweet Dreams ist treffsicher, grotesk und historisch gut verankert. Und mich erinnert der Film an die Plantagensequenz, die Francis Ford Coppola aus Apocalypse Now seinerzeit entfernt hatte und dann in seinem Redux– und Director’s Cut wieder eingefügt.

Ena Sendijarević ©Imke Panhuijzen

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