DO NOT EXPECT TOO MUCH FROM THE END OF THE WORLD (Nu aștepta prea mult de la sfârșitul lumii) von Radu Jude

Die grossartige Ilinca Manolache ©4 Proof Film

Mit dem goldenen Berliner Bären für seinen Bad Luck Banging tauchte Radu Jude aus der peripheren Vision plötzlich im zentralen Sumpf der Filmkritik auf und prustete laut und vernehmlich.

Dieses pandemisch durchseuchte Bukarest, das er da zur Kulisse böser Menschlichkeit machte, das wirkte filmisch nicht einfach ungezähmt, sondern wirklich gegen jeden Strich gebürstet.

Nun ist Jude wieder mit so einem Biest auf der Leinwand, und wieder mit einer Art Gebrauchsanleitung im Titel.

Ob das Ende der Welt im zeitgenössischen Bukarest der Produktionsassistentin Angela (Ilinca Manolache) zu erwarten ist, oder ob das Ende der Welt der Taxifahrerin im Film im Film mit den Erwartungen an das Ende von Ceaușescus Rumänien schon die grosse Enttäuschung war: Radu Jude lässt wieder einmal jede Interpretation zu.

Und wieder wirkt der Film zuerst zusammengeflickter, als er dann tatsächlich ist. Da sind zunächst die Aufnahmen in Schwarzweiss, die Angela vornehmlich in ihrem kleinen Fiat Kastenwagen im Verkehrschaos in und um Bukarest zeigen.

Sie ist unterwegs, um Industrieunfallopfer zu casten für einen Safety-Film für einen österreichischen Konzern. Dabei ist sie so übermüdet und unterbezahlt, dass sie leicht selbst als schlechtes Beispiel für alle sich selbst gefährdenden Ausgebeuteten dienen könnte.

Dazwischengeschnitten sind farbige Sequenzen aus einem alten rumänischen Spielfilm über das Leben einer Taxifahrerin im realen Sozialismus.

Angela inszeniert Bobitză (Ilinca Manolache) ©4 Proof Film

Und die unterhaltsam widerwärtigen Insta-Stories von Bobitză, einem genderfluid mysogynen Social Media Phänomen, das sich schliesslich als erfolgreiche Satire-Kunstfigur von Angela erweist. Bobitză sei nichts anderes, als die Darstellung der Wahrheit über extreme Satire, sagt sie einmal. Wie bei Charlie Hebdo.

Dass der alte Film im Film und die Strecken, die Angela mit dem Auto abfährt, schliesslich enger geführt werden, dass die Schauspielerin und die Schauspieler aus dem alten Film schliesslich als Darsteller oder zumindest Figuren im neuen auftauchen, das gehört zu den vielen kunstvollen Verschränkungen, die Radu Jude hinter seinem Anarcho-Filmstil geschickt versteckt.

Nina Hoss ©4 Proof Film

Gastauftritte von Nina Hoss, als Goethe-Urururenkelin, die in der Werbeabteilung der Österreicher arbeitet, und Uwe Boll, der sich gleich selbst spielt und zusammen mit Bobitză ein herzliches «Fuck you all!» an die Adresse der Filmkritiker in Angelas Instakamera ruft, sind weitere Perlen, die dieser Film locker vor die Säue wirft.

Aber wie schon bei Bad Luck… ist es auch hier die Menschlichkeit, das Herz, die zeitweilig Empörung über den Irrsinn der Welt, welche dem Film seine Seele geben. Angela rülpst und furzt nicht nur als Bobitză, sie hat auch eine überraschende Fürsorglichkeit anderen Menschen gegenüber.

Vor allem aber ist sie stets auf der Seite ihrer handverlesenen Opfer, deren Casting ihr obliegt. Sie ist überzeugt, oder hofft zumindest, dass die 120’000 Follower, welche Bobitză hat, die Satire als Satire würdigen. Und sie, beziehungsweise ihre Darstellerin Ilinca Manolache, hält den Film überall dort zusammen, wo Radu Judes radikaler rumänischer Rummelplatz bisweilen aus den Nähten platzt.

Radu Jude © Silviu Ghetie

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