EUROPA von Sudabeh Mortezai

‚Europa‘ mit Lilith Stangenberg © Fratella Filmproduktion

Die von Lilith Stangenberg gespielte Beate Winter in diesem Film ist eine Schwester im (Un-) Geist von Sandra Hüllers Ines Conradi in Toni Erdmann. Wie jene ist sie im Auftrag einer Corporation im Osten auf gut kaschiertem Raubzug.

Beate Winter soll für die gar nicht ominös benannte «Europa»-Company die letzten lokalen Familien in einem albanischen Landstrich dazu bringen, ihre Häuser und ihr Land zu verkaufen.

Das Ganze läuft unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Kooperation, Private-Public-Partnership, Entwicklungshilfe, was auch immer gerade passt.

In einer der ersten Szenen erklärt Beate Winter vor den versammelten Studentinnen und Studenten der albanischen Universität, was es mit den von «Europa» gestifteten Stipendien für junge Frauen aus benachteiligten Regionen auf sich hat: Es seien die Frauen und die Mädchen, welche den Fortschritt trügen und die Zukunft ermöglichten.

Und darauf setzt sie denn auch, als ihre ersten freundlichen Gespräche mit den männlichen Haushaltsvorständen in der Gegend nicht fruchten. Die wollen ihr Land und ihre Häuser nicht aufgeben, wollen weiter Schafe züchten und Bienen. Darum beginnt Beate schliesslich, sich an die Mütter und die Töchter zu wenden.

Als Frau müsse sie stets 200% geben, um mit den Männern bloss einigermassen gleichziehen zu können, erklärt sie den Studentinnen zu Beginn einmal. Und das tut sie dann auch, den ganzen Film durch.

Sie ist subtiler in ihren Methoden, scheut sich nicht, die schwesterliche Entwickungshelferin zu spielen, die freundliche, verständnisvolle Frau, die mit ihren einfühlsamen und auf Nachhaltigkeit und Zukunft getrimmten Argumenten die Bulldozer und Bulldoggen der Corporation zurückhält.

Und wahrscheinlich glaubt sie sich das selbst. Denn Lilith Stangenberg zieht die Fassade durch. Wenn Beate arbeitet, trägt sie ihre Haare in streng geknoteter Eleganz, offen fallen sie nur in den wenigen Momenten der Videotelefonie mit Mann und Kindern zuhause.

Lilith Stangenberg © Fratella Filmproduktion

Anders als Maren Ades Toni Erdmann zielt Europa denn auch weniger auf die fatale Versteinerung (und dann Entsteinerung) einer Frau in den Diensten von Big Business, sondern eher auf die Fassadenspiele, welche sie braucht, um zu kaschieren, was wirklich abgeht.

Vor sich und vor den Menschen, die sie manipuliert.

Kommunikation sei stets Manipulation, behauptet Beate schliesslich sogar gegenüber der jungen Frau, die sie dazu drängt, ihren allen Argumenten unzugänglichen Vater eben einfach emotional zum Verkauf zu bringen.

Der erste Film, den Sudabeh Mortezai und ihr Bruder Merdah mit ihrer Produktionsgesellschaft Fratella auf die Beine gestellt haben, ist ein beeindruckend lebensnahes Konstrukt. Neben Lilith Stangenberg ist Jeff Rickets, der Beates Boss spielt, der einzige Profischauspieler. Alle anderen sind Naturtalente, meist nah an ihren eigenen Biografien und Hintergründen, in der albanischen Landschaft, die schon für sich einen eigenen Film rechtfertigen würde.

Dass Mordezai die Gratwanderung zwischen Satire und Realität bravourös durchziehen kann, liegt nicht zuletzt an dieser Einbettung in die historische Realität und die Gegenwart Albaniens, aus der sie ein Maximum an aufgeladenem Realismus destilliert.

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