TITANE von Julia Ducournau

Palme d’or 2021

Agathe Roussell © Frakas Prod.

Seit dem FIPRESCI-Preis für Grave in Cannes erwarten Genrefilmfans, und nicht nur die, von Julia Ducournau grosses, seltsames, anderes Kino.

Ihre sehr zeitgenössische Variation auf den Werwolf-Film mit Garance Marillier und Ella Rumpf war ungemein sicher inszeniert, etwas blutig, etwas fremd. Und so eindeutig nicht männlich in seinem Blick, dass sich schon allein dadurch eine ungewohnte Stimmung einstellte.

Nun dockt Ducournau bei einem ganz grossen des modernen Body-Horrors an: Bei David Cronenberg, genauer, bei seiner J.G. Ballard-Verfilmung Crash von 1996. Das war der Versuch, der Erotik von Automobilen und Autounfällen über eine Gruppe von Unfall-Fetischisten näher zu kommen. Der Film liess vieles anklingen, von der gewaltsamen Verbindung von Körpern und Metall über Cyborg-Fantasien bis zur brachial-einfachen Gleichsetzung von Crash und Penetration.

© Frakas Prod.

Das Titan des Titels hat die Hauptfigur Alexia (Agathe Rousselle) implantiert in der Seite ihres Schädels, direkt über dem Ohr, nachdem sie in der Eröffnungssequenz des Films als kleines Mädchen vom Autorücksitz aus ihren Vater trotzig mit Tritten in die Rücklehne zu einem Unfall provoziert hat.

Nach dem ersten Zeitsprung erleben wir sie als Tänzerin an einer Auto-Show, die sich nicht nur 80er-Jahremässig auf Motorhauben räkelt, sondern offensichtlich eine körperliche Beziehung zu den Blechkisten entwickelt.

Agathe Roussell © Frakas Prod.

In der ersten halben Stunde des Filmes kommen mindestens vier Menschen ausgesprochen brutal und blutig zu Tode und Alexia hat Sex mit einem Ausstellungsboliden. Davon wird sie blitzartig schwanger, ihr Bauch schwillt schmerzhaft an und Motorenöl fliesst aus.

Das ist der logische Teil des Films.

Agathe Roussell © Frakas Prod.

Im zweiten, längeren Teil verwandelt sich Alexia auf der Flucht vor der Polizei in den vor Jahren verschwundenen Sohn des Feuerwehrkommandanten Vincent (Vincent Lindon). Sie bindet Bauch und Brüste ein, bricht sich die Nase, schneidet die Haare ab und Vincent akzeptiert sie ohne wenn und aber als seinen verlorenen Sohn.

Vincent Lindon © Frakas Prod.

Und auch da entwickelt der Film wieder seine eigene Logik. Der grobe Vater, die Village-People-ähnliche Feuerwehrtruppe aus lauter attraktiven jungen Macho-Männern sind eine surreale Umgebung für die als junger Mann getarnte Biomechanoidin. Ganz zu schweigen von der väterlichen Liebe, die allem Irrsinn zum Trotz aufzukeimen beginnt.

Über seinen Sohn werde nicht diskutiert, erklärt Vincent seiner Mannschaft. Was er für sie alle sei? Gott natürlich. Und damit sei sein Sohn Jesus. Punkt.

Vincent Lindon © Frakas Prod.

Es bringt herzlich wenig, diesen Film zu schildern, höchstens als Warnung für sensible Gemüter. Ganz grundsätzlich klingt aber in Titane so viel an, scheint so viel durch, dass man das Erlebnis wohl erst ein paar Stunden oder gar Tage sich setzen lassen muss.

Body-Horror ist da, Gewalt, die Verbindung von Mechanik und Körper, Metall und Fleisch. Der Schrecken über Verwandlungen, über wachsende Fremdkörper im Körper, die Unmöglichkeit Selbstbild und Fremdwahrnehmung zu versöhnen (wörtlich!) und vieles mehr.

Titane ist ein extrem physisches Erlebnis, ein Film, der abstösst und anzieht. Vor allem, weil sich Ducournau dieses Mal allen Genre-Leitplanken verweigert und wie seinerzeit Cronenberg voll auf das Vertraute im völlig Fremden setzt und auf den Horror, den das nicht ganz vollständige Erkennen erzeugt.

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