Gestern Abend ging in Berlin der Teddy Award für den besten Dokumentar-/Essayfilm an Stefan Haupts Der Kreis. Die Dokufiktion über die zunächst heimliche Zürcher Organistion der Schwulen und Lesben aus den Vierziger Jahren erzählt die Geschichte der Bewegung anhand der Liebesgeschichte zwischen dem Lehrer Ernst Ostertag und dem Travestie-Star Röbi Rapp.
Ist er das, der Goldene Bär? Wenn dieser via Applausometer in den Pressevorführungen verliehen würde, dann auf jeden Fall. Der amerikanische Regisseur hat schon bei der (vorläufigen?) Trilogie Before Sunrise (1995), Before Sunset (2004) und Before Midnight (2013) bewiesen, dass er eine langen Atem hat und über Jahre hinweg Spannung aufrecht halten kann. Dreimal kam vor der Kamera das gleiche Paar (Julie Delpy und Ethan Hawke) zusammen, in bestimmten Stadien einer Beziehung.
Jetzt hat er seiner Fähigkeit, eine Geschichte über Jahre hinweg zu erzählen, noch die Krone aufgesetzt. Boyhood heisst der Film (auf deutsch nicht übersetzbar, es bezeichnet die Kindheit eines Jungen). Das ist ein Spielfilm, der über 12 Jahre hinweg das Aufwachsen eines Jungen verfolgt, von der Einschulung an bis zum Eintritt ins College. Er schlägt sich mit seiner älteren Schwester herum, muss sich allerlei Ermahnungen und Erziehungsreden vom Vater, von diversen Stiefvätern, von der Mutter und von Lehrern anhören, wächst dabei vom Jungen zu Teenie zum jungen Mann heran. „Berlinale 14: BOYHOOD von Richard Linklater“ weiterlesen
Unter dem Vorsitz von Produzent und Drehbuchautor James Schamus entscheidet die Internationale Jury morgen Samstag über die Vergabe des Goldenen und der Silbernen Bären im Wettbewerb der Berlinale 2014. Die Preisverleihung wird auf 3Sat live übertragen am Samstag, 15.02.2014, um 19:00 Uhr.
Aber im Berlinale-Studio am Potsdamer Platz zog Brigitte Häring heute schon Bilanz mit dem bewährten Team: Katja Nicodemus von der «Zeit» und dem freien Berliner Filmjournalisten Peter Claus.
In mehreren Filmen im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale stehen gepeinigte Männer im Zentrum. Stille Wasser mit unterirdischen Strudeln, Männer, die innerlich ständig Kämpfe mit sich austragen, die – manchmal gewalt(tät)ig aus ihnen ausbrechen, manchmal auch friedlicher ausgetragen werden. Da ist zum Beispiel Nils im norwegischen Film Kraftidioten. Ein freundlicher, stiller Mann, dessen innere Trauer und Wut über den Verlust des Sohnes sich nicht als ein grosser Vulkanausbruch entlädt. Aber immerhin macht sie – die innere Wut- den Mann zum mehrfachen Mörder.
Ein Mörder ist Stratos aus dem griechischen Beitrag To Mikro Psari(Kleiner Fisch) von Yannis Economides bereits. Im Alltag arbeitet er in einer Backfabrik, eigentlich aber führt er Auftragsmorde aus.
Dieser Film hatte von allen Wettbewerbsfilmen bisher die meisten Lacher (abgesehen von Lars von Triers Nymphomaniac, aber der lief ausser Konkurrenz). Und dabei ist Kraftidioten nicht unbedingt eine Komödie. Und wenn, dann eine rabenschwarze. Eine Art norwegischer Fargo. Der englische Filmtitel heisst In Order of Disappearance (In der Reihenfolge des Abtretens). Und genauso ist der Film strukturiert – nach den Leuten, die nach und nach abtreten. Und in diesem Fall heisst das natürlich sterben.
Wahrscheinlich ist dieser Film aus China ganz und gar nicht metaphorisch gemeint, sondern soll durchaus und sprichwörtlich einen blinden Fleck der chinesischen Gesellschaft zeigen. Der Film erzählt nämlich von blinden Menschen in China, in Nanjing, die in einem Massagesalon arbeiten. Das scheint in dem Land gang und gäbe zu sein, wie eine Offstimme zu Beginn erklärt, sogenannte „Blind Massages“ waren zumindest eine Zeit lang sehr begehrt. „Berlinale 14: TUI NA – Blind Massage von Lou Ye“ weiterlesen
«Ich glaub, ich bin ein Teddybär» – Stefan Haupts Film Der Kreis feierte an der Berlinale Weltpremiere. Es ist am diesjährigen Festival der einzige lange Film, der eine reine Schweizer Produktion ist. Die Dokufiktion erzählt das Leben und Wirken von Ernst Ostertag und Röbi Rapp, zweier Pioniere der schwulen Emanzipationsbewegung in Zürich.
Vierundachzig Jahre alt sind sie beide, Röbi Rapp und Ernst Ostertag, und sie sind mit nach Berlin gekommen, um den Film über sich zu begleiten. Eigentlich wollte Regisseur Stefan Haupt einen reinen Spielfilm drehen – aber weil eine finanziell nötige Kooperation mit dem Ausland nicht zustande gekommen ist, stand das Projekt auf der Kippe.
Jedem Wettbewerb seinen Kostümschinken. Und dieser, Die geliebten Schwestern von Dominik Graf, ist tatsächlich ein Schinken. Eine Schwarte gar. 170 Minuten lang. Als Graf in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob er den Film nicht auch hätte kürzer machen können, hat er nein gesagt. Man müsse als Zuschauer sich diese Zeit nehmen, eine Geschichte erzählt zu bekommen. Falsch. Diese Geschichte will ich mir nicht fast drei Stunden lang erzählen lassen. Oder nicht so, wie er es getan hat, mit einer ungeheuren Geschwätzigkeit, die mir eben die Zeit, zuzuschauen, gar nie lässt.
Manchmal merkt man an einem Festival erst mit Verzögerung, wie gut eigentlich ein Film ist, den man gesehen hat. Das passiert oft dann, wenn ein anderer Film diesen – richtig guten Film – negativ kontrastiert. So geschehen mit ’71 von Yann Demange nach der Sichtung von George Clooneys The Monument Men. Ersterer gewinnt. Er ist eine echte Antikriegsparabel, gesetzt in Nordirland, und macht klar: Eigentlich gibt es in Konflikten nicht „gut und böse“, es gibt nur ein System und Ideologien, die Böses schaffen. Und mitten drin sind viele sehr verletzliche Menschen.
Aber ich will hier über den anderen Film schreiben, der dieses Duell verliert: George Clooneys Beitrag zur Nachbearbeitung des Zweiten Weltkriegs The Monuments Men. Der ist natürlich auch (im Subtext) ein Antikriegsfilm, aber einer, das sehr wohl Stellung bezieht, sehr patriotische Stellung. „Berlinale 14: THE MONUMENTS MEN von George Clooney“ weiterlesen
Ein Film wie ein Alptraum, in dem ein junger Soldat in einem Tag und einer Nacht einen ganzen Krieg durchmacht. Und tatsächlich von einem Tag auf den anderen vom jungen Rekruten zum verletzten, traumatisierten Veteran wird. Gedreht hat den Film der in London aufgewachsene Franzose Yann Demange (es ist sein erster Spielfilm), das Buch stammt von Gregory Burke. Diese zeitliche Begrenzung auf einen Tag und eine Nacht ist gut, um diese rast- und atemlose Atmosphäre, die in einem kriegerischen Konflikt herrscht, zu transportieren. „Berlinale 14: ’71 von Yann Demange“ weiterlesen