Locarno 13: Die Preise

Pardo d'oro Concorso Internazionale. 'Historia de la meva mort' - Albert Serra
Pardo d’oro Concorso Internazionale. ‚Historia de la meva mort‘ – Albert Serra

Die Preise 2013 – Die Filmtitel sind, wo vorhanden, mit den Blogeinträgen verlinkt

INTERNATIONALER WETTBEWERB:

Pardo d’oro – Goldener Leopard:
Historia de la meva mort von Albert Serra, Spanien/Frankreich

Premio speciale della giuria – Spezialpreis der Jury:
E agora? Lembra-me von Joaquim Pinto, Portugal

Pardo per la miglior regia – Leopard für die beste Regie:
Hong Sangsoo für U ri Sunhi (Our Sunhi), Südkorea

Beste Darstellerin:
Brie Larson in Short Term 12 von Destin Cretton, USA

Bester Darsteller:
Fernando Baciolio in El mudo von Daniel Vega und Diego Vega, Perù/Frankreich/Mexiko

Besondere Erwähnungen:
Short Term 12 von Destin Cretton, USA
Tableau noir von Yves Yersin, Schweiz

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Locarno 13: SHU JIA ZUO JE von Tso-chi Chang

Es ist verblüffend, wie sich dieser Film aus Taiwan und Yves Yersins Schweizer Wettbewerbsbeitrag Tableau noir ergänzen. Zwei Filme über Kinder, Schüler, Schulen mit reduzierter Strenge. Aber der Film aus Taiwan ist ein Spielfilm, Yersins Tableau noir ein Dokumentarfilm. Und doch besteht eine Verwandtschaft: Beide Filme haben einen klaren Blick auf Kinder.

Weil seine Eltern keine Zeit haben und ohnehin die Scheidung erwägen, und weil sein Grossvater nach dem Tod seiner Frau im Dorf Gesellschaft brauchen kann, wird Bao für den Sommer aufs Land geschickt. Da sitzt er dann, mit seinem Ipad, seinem ferngesteuerten Helikopter und seiner Ratlosigkeit. Der Grossvater ist sehr direkt und setzt durch, was er für richtig hält, etwa, das Lichterlöschen und Fernseher Ausschalten lange vor Mitternacht.

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Locarno 13: TOMOGUI von Shinji Aoyama

Toma und Chigusa
Toma und Chigusa

Der Japaner Shinji Aoyama ist längst eine feste Grösse an europäischen Festivals. Mit Eureka machte er sich 2000 in Cannes einen internationalen Namen und seither taucht er immer wieder auf. In Locarno war er zuletzt 2011 im Wettbwerb mit der wunderbaren Fotografengeschichte Tokyo koen. Das war eine Romanverfilmung, der man das nicht ansah. und der neue Film geht nun ebenfalls auf einen Roman zurück, der Autor heisst Shin’ya Tanaka.

Für seinen Roman Tomogui hat er 2011 den japanischen Akutagawa-Literaturpreis gewonnen. Und wieder wirkt Aoyamas Film trotz Buchvorlage wie ein nach Originalscript gedrehtes Kinowerk. Die Hauptfigur Toma erzählt ihre eigene Geschichte. Die setzt 1988 ein, als er 17 Jahre alt war. Das Jahr, in dem sein Vater starb, wie er ganz am Anfang bemerkt. Sein Vater, der ein Sadist war, der beim Sex die Frauen schlug, auch Tomas Mutter, die ihn und den Sohn darum verlassen hat. „Locarno 13: TOMOGUI von Shinji Aoyama“ weiterlesen

Locarno 13: REAL von Kiyoshi Kurosawa

Atsumi (Haruka Ayase) beim Sensing
Atsumi (Haruka Ayase) beim Sensing

Kiyoshi Kurosawa (der mit Akira nicht verwandt ist), hat eine eindrückliche Filmografie aufzuweisen. Und seine oft den Grenzbereich zwischen fantastischem Kino und Horror streifenden Filme waren immer wieder unterschiedlich eindrücklich. Bei seinem jüngsten, jetzt im Wettbewerb von Locarno laufenden Effort konnte ich mir die Enttäuschung allerdings nicht verkneifen.

Der Originaltitel ist ausführlicher als das internationale Real: Riaru: Kanzen naru kubinagaryû no hi. Und die Geschichte, die der Film erzählt, ist durchaus phantastisch. Koichi nimmt mit seiner im Koma liegenden Freundin mittels einer hochmodernen klinischen Technik – Sensing genannt – Kontakt auf. Koichi und Atsumi treffen sich in einer virtuellen Version ihrer eigenen Wohnung und versuchen herauszufinden, warum sich die Manga-Zeichnerin umbringen wollte.

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Locarno 13: MARY QUEEN OF SCOTS von Thomas Imbach

Camille Rutherford als Mary Stuart
Camille Rutherford als Mary Stuart © pathé

Eigentlich ist das ja durch mit den Tudors, den Sex & Crime-Eskapaden in Fernsehmehrteilern, und es wäre wieder an der Zeit für die grossen Königsdramen – wenn Jean-Stéphane Bron schon einleuchtend seinen L’expérience Blocher als „seinen Blocher“ bezeichnet, in Analogie zu „seinem Hamlet“ oder „seinem Lear“ im Gesamtwerk eines Theaterregisseurs. Und nun also Thomas Imbach mit „seiner“ Maria Stuart?

Nun, zunächst ist es nicht Imbachs Maria, sondern jene von Stefan Zweig, die hier der Leinwand angewandelt wird. Und zudem interessiert sich Thomas Imbach nicht einfach für die Königin und ihr tragisches Schicksal, sondern offensichtlich für Wandlungen und Interpretationen und Verstofflichungen des teils historischen und teils literarischen Materials. Entstanden ist dabei ein exquisiter Film.

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Locarno 13: L’EXPERIENCE BLOCHER von Jean-Stéphane Bron

Drehen in Herrliberg © frenetic
Drehen in Herrliberg © frenetic

In seiner Hoffnung, den Multimillionär und selbsternannten Volkstribunen Christoph Blocher auf eine andere Weise erfahrbar zu machen und kennen zu lernen, ist Jean-Stéphane Bron gescheitert. Als Filmemacher dokumentiert er dies auch, bietet aber zugleich ein handwerkliches Arsenal an Effekten auf, um seine Bemühungen nicht abschreiben zu müssen.

Bron hat Blocher mit dessen Einverständnis gefilmt und begleitet, sass mit ihm stundenlang im fahrenden Auto, auf dem Vordersitz neben dem Chauffeur, Blocher im Fonds. Er hat ihn inszeniert, im leeren Bundeshaus, in der leeren Villa in Herrliberg. Er hat Dokumentaraufnahmen und Inszenierungen verwoben und mit einem subjektiven Kommentar, der sich direkt an Blocher wendet, unterlegt. „Locarno 13: L’EXPERIENCE BLOCHER von Jean-Stéphane Bron“ weiterlesen

Locarno 13: HISTORIA DE LA MEVA MORT von Albert Serra

Giacomo Casanova
Giacomo Casanova

Graf Dracula und Giacomo Casanova im gleichen Film? Das klingt zunächst eher nach einem Spekulationsprodukt wie Alien vs Predator. Aber Albert Serra hat schliesslich Literaturtheorie und vergleichende Literaturwissenschaft studiert und seine Reputation als Filmemacher steht auch ausser Zweifel. Wo also führt er uns dieses Mal hin?

Tatsächlich in die Karpaten, bis knapp in die Nähe des Schlosses von Graf Dracula, somit nicht völlig nach Transsylvanien, aber doch nach Sylvanien. Und unterwegs sind wir mit Giacomo Casanova auf einer seiner vielen Reisen – man muss annehmen, seiner letzten. „Locarno 13: HISTORIA DE LA MEVA MORT von Albert Serra“ weiterlesen

Locarno 13: L’ETRANGE COULEUR DES LARMES DE TON CORPS von Hélène Cattet und Bruno Forzani

Wenn man die letzten Bilder dieser Stilübung in surrealem Horror wörtlich nimmt, dann handelt es sich bei L’étrange couleur des larmes de ton corps, der seltsamen Farbe der Tränen deines Körpers, ganz banal um das Menstruationsblut der älteren Schwester eines traumatisierten Jungen. Und das ist auch das grösste Problem des Films:

Nimmt man ihn zum Nennwert, bleibt nicht viel von ihm übrig. Hélène Cattet und Bruno Forzani erweisen sich einmal mehr als stilsichere Apologeten des klassischen Giallo. Sie beherrschen die Palette des surrealen Horrors mit Innenarchitektur, Wahrnehmungsverschiebungen, blutigen Momenten und einer ätherischen Tonspur. „Locarno 13: L’ETRANGE COULEUR DES LARMES DE TON CORPS von Hélène Cattet und Bruno Forzani“ weiterlesen

Locarno 13: TONNERRE von Guillaume Brac

Wenn man einfach von der Synopsis im Locarneser Katalog ausgeht, dann wäre dieser Film das komplimentierenden Gegenstück zum 0815-Melodrama Une autre vie, der ebenfalls im Wettbewerb läuft. Statt einer reichen schönen Pianistin, welche sich in einen armen aufrechten Elektriker verliebt, haben wir dieses Mal einen etwas abgehalfterten französischen Rockmusiker, der einer 21jährigen verfällt.

Allerdings rührt Guillaume Brac nicht mit der Kelle des Drehbuchlehrgangs für Fernseh-Anfänger an wie sein Kollege Mouret, sondern mit skurrilem Realismus. Nicht ganz auf der Höhe der Brüder Dardenne, aber doch trist genug, dass man dankbar ist für jede der anfänglich sehr dicht gestreuten Erheiterungen. „Locarno 13: TONNERRE von Guillaume Brac“ weiterlesen

Locarno 13: TABLEAU NOIR von Yves Yersin

Von Yves Yersin stammte einer der ersten Dokumentarfilme, die mich in meiner Schulzeit wirklich packten: Die letzten Heimposamenter über die Schweizer Seidenbandweber, 1974. Und einer der schönsten und erfolgreichsten Schweizer Spielfilme der Siebzigerjahre: Les petites fugues (1979) mit Michel Robin als Bauernknecht Pipe, der auf seine alten Tage beginnt, die Welt zu erforschen – mit dem Mofa. Und danach kam nichts mehr von Yersin. Er unterrichtete, statt selber weiter zu filmen.

Darum ist das Sujet von Tableau noir, seinem neuen Dokumentarfilm im Wettbewerb von Locarno, auch so passend: Es geht um einen Lehrer, der an einer winzigen Gesamtschule in den Bergen des Jura die Kinder der Weiler unterrichtet – seit vierzig Jahren, bereits die dritte Generation. Das heisst, die Eltern seiner Schüler waren auch schon seine Schüler. Gilbert Hirschi ist das Herz und der Kopf der kleinen interkommunalen Schule. Und nun soll sie geschlossen werden. „Locarno 13: TABLEAU NOIR von Yves Yersin“ weiterlesen