Locarno 18: GENÈSE von Philippe Lesage (Wettbewerb)

Théodore Pellerin (Guillaume), Noée Abita (Charlotte) © beforfilms

Guillaume (Théodore Pellerin) und Charlotte (Noée Abita) sind Geschwister. Er ist im Internat, sie wohnt beim Vater und der Stiefmutter. Aber beide treibt die Liebe um. Und beide finden sich zuweilen in einer überraschend zynischen Umwelt.

Bei Guillaume ist es vor allem der Geschichtslehrer Pellerin, der seine Klasse mit einer ironischen, mitunter auch zynischen und ziemlich schonungslos auf einzelne Schüler zielenden Direktheit fasziniert und bisweilen auch aufmischt. „Locarno 18: GENÈSE von Philippe Lesage (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: MENOCCHIO von Alberto Fasulo (Wettbewerb)

Marcello Martini in der Titelrolle © Nefertiti Film

Im aktuellen Italien die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der für seine freie Rede und kirchenkritischen Gedanken 1599 auf Anordnung des Papstes auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, das ist kein einfaches Unterfangen.

Menocchio hiess eigentlich Domenico Scandella. Er war Müller in Montereale, einem Dorf im Friaul. Wie viele andere Freidenker und kritische Geister geriet auch Scandella in die inquisitorische Repressionsmaschine der Gegenreformation. „Locarno 18: MENOCCHIO von Alberto Fasulo (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: ALICE T. von Radu Muntean (Wettbewerb)

Elf Jahre ist es her, seit Cristian Mungiu mit Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage die neue rumänische Welle zur globalen Anerkennung brachte.

Im Zentrum standen damals das staatliche Abtreibungsverbot im kommunistischen Rumänien der 1980er Jahre und die Unrechts- und Feigheitsketten, die damit verknüpft waren.

Nun nimmt Radu Muntean das Thema wieder auf, fast spiegelbildlich, im zeitgenössischen Rumänien. „Locarno 18: ALICE T. von Radu Muntean (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: SIBEL von Cağla Zencirci, Guillaume Giovanetti (Wettbewerb)

Damla Sönmez als Sibel © Pyramide

Das Rotkäppchen in diesem Film heisst Sibel, und sie ist eher ein Aschenbrödel. Auch wenn sie ihre Füsse für die Wolfsjagd in knallrote Gummistiefel steckt und mit einer vom Vater geschenkten Flinte unterwegs ist, die ihren Namen trägt.

Das türkisch-französische Filmer-Paar hat etwas gar viel in seinen jüngsten Film gepackt:

  • Die Parabel von der bedrohten traditionellen Macht, die sich zu halten versucht, in dem sie alle Oppositionellen zu Terroristen erklärt.
  • Den Wolf als projizierte Bedrohung für die Gemeinschaft, und als erotische Phantasie für eine erwachende junge Frau.
  • Die Stummheit der Hauptfigur als Ausdruck ihres Andersseins und Grund für ihre Aussenseiterrolle.
  • Und die faszinierende, tatsächlich existierende Pfeifsprache in diesem kleinen Bergdorf in der türkischen Schwarzmeer-Gegend, als Möglichkeit für Sibel, trotzdem kommunizieren zu können – aber nur mit Einheimischen, nicht mit dem vor dem Armeedienst geflüchteten Ali, der sich im Wald versteckt und in Sibels Wolfsfalle gerät.

Sibel ist ein zeitgenössisches Märchen, eine Türkei-Parabel, eine Gemeinschaftsstudie, das Porträt einer eigenwilligen, eigensinnigen und selbstbestimmten jungen Frau, und damit schlicht ein wenig überladen.

Damla Sönmez, Emin Gürsoy, Elit Iscan © Pyramide

Dabei sind die einzelnen Erzählstränge durchaus faszinierend. Sibel, die stumme Tochter des verwitweten Bürgermeisters, ist sein heimlicher Stolz. Er geht mit ihr auf die Jagd, er weiss, sie ist die bessere Schützin als er. Er vertraut ihr, lässt sie ohne Kopftuch und jederzeit das Haus verlassen, sehr zum Verdruss der verwöhnten jüngeren Schwester.

Für die Frauen des Dorfes ist Sibel mit ihrer demonstrativen Freiheit ein Ärgernis und eine potentielle Bedrohung, für die Männer schlicht eine arme Behinderte. Und nicht zuletzt darum ist die junge Frau auf der Pirsch. Ihr Traum wäre es, den Wolf zu erlegen, das Dorf von der unsichtbaren Bedrohung zu befreien und so ihren Platz in der Gemeinschaft zu finden.

Bloss existiert der Wolf nicht wirklich, dafür taucht Ali auf im Gebüsch. Der junge Deserteur wirkt zwar wie ein Wolf auf Sibel, aber dadurch auch faszinierend und anziehend gefährlich.

Damla Sönmez, Erkan Kolçak Köstendil © Pyramide

Gefilmt ist das alles in einer überaus malerischen Umgebung, in Teeplantagen, auf Maisfeldern, im Dorf und im Wald, mit schönen, farbsatten Bildern.

Aber obwohl der Film nur 95 Minuten lang ist, zieht er sich doch zunehmend in die Länge. Am meisten gegen sein Ende, als die künstlich geschürte Wolfs-Angst und die Terroristen-Hetze in der aktuellen Türkei etwas gar deutlich ausgespielt werden, so sehr, dass man sich unwillkürlich fragt, ob dieser Film in Erdogans Reich in dieser Schnittversion wohl je wird gezeigt werden können.

Damla Sönmez © Pyramide

Immerhin sind neben all den märchengerecht eindimensionalen Figuren jene der Sibel (Damla Sönmez erinnert an Marion Cotillard und an die Rote Zora) und jene des Vaters (Emin Gürsoy) ausgesprochen modern und faszinierend widersprüchlich. Ihre Konflikte sorgen dafür, dass immer wieder echte Spannung aufkommt, die der Film leider nicht halten kann.

Locarno 18: DIANE von Kent Jones (Wettbewerb)

Mary Kay Place als Diane © visitfilms.com

Mary Kay Place ist eine jener Schauspielerinnen, die wir alle sofort wieder erkennen, ohne sie eindeutig einer Rolle zuordnen zu können. In unzähligen Serien und gegen hundert Spielfilmen hat sie prägnante sogenannte Charakter-Rollen gespielt.

Und nun ist Mary Kay Place Diane, im Film des einstigen Filmkritikers, Dokumentarfilmers und Direktor des New York Film Festivals, Kent Jones. „Locarno 18: DIANE von Kent Jones (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: TARDE PARA MORIR JOVEN (Too Late to Die Young) von Dominga Sotomayor (Wettbewerb)

Die Kinder von Aussteigern haben es nicht leichter als alle anderen. Im Gegenteil: Wenn sie weg wollen von den Eltern, müssen sie fast zwangsläufig dahin, wo die Eltern herkommen.

So geht es Sofia in der alternativen Kolonie in Chile, in der sie aufgewachsen ist. Sie lebt mit ihrem Vater, einem Instrumentenbauer, und ihrem Bruder in den 1990er Jahren in dieser kargen ländlichen Idylle in den Bergen hoch über der grossen Stadt. „Locarno 18: TARDE PARA MORIR JOVEN (Too Late to Die Young) von Dominga Sotomayor (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: A FAMILY TOUR von Ling Yiang (Wettbewerb)

China, Hongkong, Taiwan. Dieser Film ist spielt gleichzeitig ‚on the road‘ und an einem Ort. Während seine Figuren über die Grenzen zerrissen werden.

Seit fünf Jahren lebt die Regisseurin Yang Shu im Exil in Hongkong. Ihre Mutter zuhause in Sechuan hat ihren Enkel noch nie getroffen. Yang Shu musste China verlassen, nachdem sie mit ihrem Film «The Mother of a Recluse» allzu deutlich die politische Geschichte ihres Vaters nachgezeichnet hatte. „Locarno 18: A FAMILY TOUR von Ling Yiang (Wettbewerb)“ weiterlesen

Locarno 18: AMUR SENZA FIN von Christoph Schaub (ausser Konkurrenz)

Gieri (Bruno Cathomas) und Mona (Rebecca Indermaur, sitzend) feiern zwanzig Ehejahre © SRF/Pascal Mora

Mann geht fremd in einem Bündner Dorf. Und die Frauen lassen das nicht auf sich sitzen. Es ist nicht der bescheidene komödiantische Plot, welcher den durchaus vorhandenen Charme dieses Fernsehfilms ausmacht.

Amur senza fin sei der erste professionelle Spielfilm in rätoromanischer Sprache, meinen die Produzenten von der SRG und von Zodiac Pictures. Das stimmt wohl, wenn man die Betonung auf «professionell» legt. „Locarno 18: AMUR SENZA FIN von Christoph Schaub (ausser Konkurrenz)“ weiterlesen