Guillaume (Théodore Pellerin) und Charlotte (Noée Abita) sind Geschwister. Er ist im Internat, sie wohnt beim Vater und der Stiefmutter. Aber beide treibt die Liebe um. Und beide finden sich zuweilen in einer überraschend zynischen Umwelt.
Bei Guillaume ist es vor allem der Geschichtslehrer Pellerin, der seine Klasse mit einer ironischen, mitunter auch zynischen und ziemlich schonungslos auf einzelne Schüler zielenden Direktheit fasziniert und bisweilen auch aufmischt.
Charlotte dagegen langweilt sich mit ihrem liebenswerten, wohlhabenden Freund und verguckt sich in einen deutlich älteren Typen, den sie zwar sehr schnell durchschaut, aber von dem sie nicht so ganz loskommt.
Philippe Lesage hat Dokumentarfilme gemacht und autobiographisch eingefärbte Spielfilme. Und auch Genèse hat diesen Anspruch, aus der Erinnerungswelt des Autors entstanden zu sein.
Das führt zu mehrfacher Irritation. Zum einen scheint vieles, was in Vignetten erzählt und immer wieder mit sehr dominanten Musik-Szenen unterbrochen wird, überhöht und verklärt.
Andererseits ist es fast nicht möglich, die Szenen um Guillaume und Charlotte zeitlich einzuordnen, weil das Dekor in die Irre führt. Retro-Stücke stehen neben Mobiltelefonen, die Musik wirkt mal wie aus den Nuller Jahren, dann wieder deutlich älter.
Und dann folgt auf Guillaumes Drama, das ein träumerisch konsequentes, fast beiläufiges Coming-out mit Schulrauswurf umfasst, und auf Charlottes Ziellosigkeit, die in eine betrunkene Vergewaltigung mündet, eine Art Coda mit neuen, viel jüngeren Protagonisten in einem Sommer-Camp.
Genèse ist ein Gemischtwarenladen widersprüchlicher Reize und Sehnsüchte. Während ich als 57jähriger schlicht nicht beurteilen kann, ob der sechzehn Jahre jüngere Kanadier sich hier eine Phantasiejugend zusammenprojiziert, oder ob es solche Kids in einer Entwicklungsphase der Menschheit mal gegeben hat, steht gleichzeitig ausser Frage, das die Figuren in ihrem suchenden Reigen bisweilen einen rechten Sog ausüben.
Dann kommt wieder die Irritation zum Zug über den Blick auf die Körper und die Berührungen, die unterschiedlich diskret ausfallen in Bezug auf Théodore Pellerin und Noée Abita.
Während Pellerin zurückhaltend und schwebend, souverän und elegant inszeniert ist, setzt Lesage Abita (die ihr wunderbares Debut gab vor einem Jahr in Ava von Léa Mysius) abwechselnd als barbusige Lolita, als energische junge Frau und als hilfloses Dummerchen ins Bild, mit einer Penetranz, die misogyn wirkt.
Dafür sind dann die jüngeren Kids wieder mit einer übertriebenen, fast sehnsüchtigen Unschuld gezeichnet. Irgendwann geht einem dann ein Licht auf: Diese Coda, dieser Sommerlager-Blinddarm am Ende von Genèse, ist tatsächlich eine Rückverankerung. Denn der junge Félix, der sich da in Beatrice verliebt, ist der vormals Zehnjährige aus Lesages Les démons von 2015.
Genèse hat unzweifelhaft einen ordentlichen Energiepegel, der zusätzlich gesteigert wird durch den vergleichsweise lauten Musikeinsatz und Tanzszenen. Aber am Ende bleiben einem dann doch nur zwei Szenen dauerhaft in Erinnerung: Die Coming-out Liebeserklärung von Guillaume an seinen unwilligen Freund vor der ganzen Klasse. Und die beiläufige Vergewaltigung der betrunkenen Charlotte durch eine Zufallsbekanntschaft im strömenden Regen.
Das ist eine etwas bittere Bilanz für 130 Minuten Film.