SFT12: ‚Vol Spécial‘ und ‚Die Wiesenberger‘ gewinnen die Hauptpreise

Die Jury und die Direktorin: Micheline Calmy-Rey (Alt-Bundesrätin); Séverine Cornamusaz (Filmemacherin); Seraina Rohrer (Direktorin); Charles Lewinsky (Schriftsteller)

Keine Überraschung bei der Preisvergabe in Solothurn: Ich hätte meinen Winterschnauz verwettet darauf, dass die Jury und das Publikum sich so entscheiden werden. Manchmal ist es aber schon schön, recht zu behalten. Hier die offizielle Meldung: „SFT12: ‚Vol Spécial‘ und ‚Die Wiesenberger‘ gewinnen die Hauptpreise“ weiterlesen

SFT12: ALLES EIS DING von Anita Blumer

Sophie Hottinger, Jeanne Devos und Anna-Katharina Müller in 'Alles eis Ding' ©frenetic

Was für eine Freude, dieser Film! Er ist einfach und liebenswert, schmerzlich und komisch, linear und formlos zugleich. Anita Blumer erzählt von sechs Schwestern, die mit ihrer schon leicht wunderlichen Grossmutter am Zürcher Stadtrand in einem alten Haus mit Garten wohnen. Der Film hat damit fast die gleiche Ausgangslage wie Milagros Mumenthalers in Locarno ausgezeichneter Abrir puertas y ventanas. Auch hier geht es um Verantwortung der älteren Schwestern für die jüngeren, um den Weg aus dem Geschwisternest in die Welt hinaus, um den Tod der Eltern und der letzten Bezugsperson, um Liebschaft, Erotik, Zukunft, Vergangenheit.

Während aber Mumenthalers Film ein kompaktes, streng durchkomponiertes Kammerdrama ist, hat Alles eis Ding eine fröhliche Leichtigkeit, die manchmal ins Absurde rutscht und immer eine extreme Herzlichkeit ausstrahlt. „SFT12: ALLES EIS DING von Anita Blumer“ weiterlesen

SFT12: Seraina Rohrer, aus Sand gebaut

Sand-Seraina vor dem Landhaus ©sennhauser

Plötzlich stand sie da, die Schubkarre mit dem aus Sand geformten Konterfei der neuen Filmtagedirektorin. Vor dem Eingang zum Landhaus in Solothurn, ohne weitere Hinweise oder Beschriftung. Man rätselte und witzelte, wie es sich ja anbietet. Seraina Rohrer selber hat ihren Golem erst relativ spät zu Gesicht bekommen und noch später die Erklärung dazu, was die Aktion bezwecke. Mittlerweile ist das Rätsel gelöst: es handelt sich um eine Kunstaktion, die auch noch weitere Stationen in der Schweiz bekommen soll. Dass mit einer Sandskulptur immer irgendwie auf die Vergänglichkeit der Dinge verwiesen wird, hat Seraina Rohrer mit Humor genommen. Zumal beim ersten Regenguss gestern irgend ein wohlmeinender Mensch den Sandkopf fürsorglich mit einem Tuch abdeckte und so der Vergänglichkeit ein erstes Schnippchen schlug.

SFT12: TOULOUSE von Lionel Baier

Alexandra Angiolini, Julia Perazzini in 'Toulouse'

Lionel Baier hat es wieder fertiggebracht: Der Mann macht Filme, die nicht nur nahtlos in der grossen Westschweizer Tradition stehen, sondern auch noch eine Art Synthese darstellen. Toulouse nimmt Themen und Befindlichkeiten der 70er Jahre auf und ist zugleich absolut von heute. Eine entschlossene junge Frau ist mit ihrer Tochter unterwegs im Waadtland. Sie kauft auf einem Hof einen alten Ford Taunus, mit dem die beiden (bei denen man bald das Gefühl hat, sie seien auf einer unbestimmten Flucht) allerdings bald immer wieder erkannt werden. Zuerst vom Polizisten, der sie anhält, weil sie ohne Nummernschilder unterwegs sind, dann vom Mann, der ihnen weiterhilft, als das Benzin ausgeht. Alle kennen Solange, den goldbraunen Ford Taunus. Und da hilft es auch nicht, dass die raketenbegeisterte kleine Marion das Auto in „Ariane“ umbenennt.

Toulouse hat mich restlos begeistert. Kein anderer Spielfilm hier in Solothurn ist dermassen reich aufgeladen auf jeder Ebene und zugleich so simpel. Da sind die Kornfelder und Landschaftsbilder, das Terrorismus-Substrat und die Frauenfiguren, die an Alain Tanner erinnern, etwa an seinen wunderbaren Messidor, die Wolkenbilder und der Musikeinsatz, die Tankstelle, die assoziativen Schnitte, die von Godard kommen, und da sind die absolut hinreissenden Einfälle von Baier, der für einen verblüffenden Bildwitz manchmal nur ein paar Frames braucht. „SFT12: TOULOUSE von Lionel Baier“ weiterlesen

SFT12: Aussenblick auf den Schweizer Film

Katja Nicodemus und Andreas Kilb ©sennhauser
Katja Nicodemus und Andreas Kilb ©sennhauser

An den Solothurner Filmtagen haben die organisierte Debatten die einstigen wilden Diskussionen über die Filme abgelöst – eine Folge der Medialisierung und der Entwicklung hin zum Publikumsfestival. Was aber als Hilfskonstruktion vor ein paar Jahren begonnen hat, funktioniert mittlerweile ganz gut. Das Format „Film-Club“, bei dem ausländische Kollegen über ein paar ausgesuchte Schweizer Filme diskutieren, macht mittlerweile richtig Spass.

Gestern waren es: Andreas Kilb (FAZ), Katja Nicodemus (Die Zeit, und jeweils auch in unseren Reflexe-Runden aus Berlin und Cannes zu hören) und Bert Rebhandl (Freier Journalist), welche unter der Leitung von Catherine Ann Berger (SF) die folgende Filme diskutierten: „SFT12: Aussenblick auf den Schweizer Film“ weiterlesen

SFT12: DIE WIESENBERGER von Bernard Weber und Martin Schild

'Die Wiesenberger' ©xenix

Die diesjährige Auswahl für den Publikumspreis in Solothurn ist gross – und attraktiv. Und mindestens drei der nominierten Dokumentarfilme (Spielfilme sind auch dabei, zum Beispiel Hell von Tim Fehlbaum, oder Off Beat von Jan Gassmann) fahren auf den ersten Blick die Ethno/Folklore-Schiene, wenn auch jeder auf seine sehr spezielle Art. Alpsegen von Bruno Moll, der rasante, schwarzweisse und als Hommage an Scorseses Raging Bull ziemlich grossartig gestaltete Kampf der Königinnen von Nicolas Steiner und schliesslich die grosse Überraschung von gestern Abend, Die Wiesenberger. Der Film ist darum eine positive Überraschung, weil er einerseits sorgfältig eine Erfolgsgeschichte mit Folgeproblemen erzählt, nämlich die der plötzlichen Popularität des Jodlerklubs Wiesenberg nach ihrem Sieg bei den grössten Schweizer Hits.

Andererseits geht der Film über die vordergründige Geschichte hinaus und wird zu einer unaufdringlichen Reflexion der medialen Spiegelwelt. Wenn sich einerseit zuerst die Sänger vom Jodelklub berührt zeigen davon, plötzlich mit den Leuten auftreten zu können, die sie jahrelang am Fernsehen gesehen haben, dann aber bald auch die Kehrseite des medialen Ruhms kennenlernen, nämlich das Pech, dass aus dem entspannenden Hobby plötzlich ein anstrengender Wochenendberuf zu werden droht, dann wird der Film auf überraschende Weise lebendig. „SFT12: DIE WIESENBERGER von Bernard Weber und Martin Schild“ weiterlesen

SFT12: Reflexe-Zwischenbilanz mit Seraina Rohrer und Matthias Bürcher

Seraina Rohrer und Matthias Bürcher Im Filmtageradiostudio
Seraina Rohrer und Matthias Bürcher Im Filmtageradiostudio
Seraina Rohrer und Matthias Bürcher Im Filmtageradiostudio ©Ruedi Wild

Am Donnerstag ist Preisverleihung. Bis dahin sind noch knapp drei Tage übrig von den diesjährigen Solothurner Filmtagen – den ersten unter der Leitung von Seraina Rohrer. Was war anders? Was hat sich bewährt? Und wo steht der Schweizer Film überhaupt? Michael Sennhauser unterhält sich im Landhaus in Solothurn live mit Matthias Bürcher und mit der neuen Filmtageleiterin über ihre Feuertaufe.

Die Sendung ist bereits online, hier zum Download und hier zum Hören:

SFT12: MY GENERATION von Veronika Minder

'My Generation' von Veronika Minder ©filmcoopi

Mit ihrem wunderbaren, witzigen Katzenball von 2005 hat die Bernerin Veronika Minder die Erwartungen an ihren neuen Film hochgeschraubt. My Generation hat eine täuschend einfache Prämisse: es geht um in der Schweiz lebende Menschen mit Jahrgang 1948, Männer und Frauen mithin, die zu Veronika Minders eigener Generation gehören und die im längst legendären 1968 im richtigen Alter waren, um am gesellschaftlichen Veränderungsprozess aktiv teilzunehmen – oder eben nicht. Dazu hat Veronika Minder eine ganze Reihe von Leuten interviewt und mit der Kamera besucht, welche die Grundvoraussetzung erfüllten, sonst aber möglichst diverse Hintergründe und Biografien aufweisen.

Der fertige Film konzentriert sich auf sechs von ihnen: Patrizia Habegger, Uschi Janowsky, Fredy Studer, Mary-Christine Thommen, Willi Wottreng, Jean-Pierre Ruder. Dass dabei die Männer, vor allem der Journalist Wottreng und der Jazz-Schlagzeuger Studer mehr oder weniger öffentliche Figuren sind, die Frauen dafür eher ‚klischee-typisch‘ (das Hippiemädchen, die „SFT12: MY GENERATION von Veronika Minder“ weiterlesen

SFT12: MÉNAGE À TROIS von Natalie Pfister und Frank Haller

'Ménage à trois' von Natalie Pfister und Frank Haller

Zu den schönen Präsentationsmöglichkeiten, welche die Solothurner Filmtage zu bieten haben, gehört auch die kluge Kombination unterschiedlicher Filme. Insbesondere bei den Dokumentarfilmen, die grossenteils in fernsehtauglicher Länge von unter sechzig Minuten vorliegen, ist da mancher fruchtbare Kontrast möglich. Heute morgen trafen da im Landhaus Christian Kunz‘ Halbstünder Von Mann zu Mann über eine Männerselbsterfahrungsgruppe im Schwitzhüttenritual und Pfister/Hallers Alters-WG-Doku auf einen überraschend vollen Landhaus-Saal.

Ob die Filmemacher besonders viele Freunde haben, oder ob die Themen tatsächlich so eine populäre Ausstrahlung haben, ist schwer zu entscheiden; das Publikum hat auf jeden Fall bei beiden Filmen sehr lebhaft reagiert, vornehmlich mit fröhlichem Lachen. „SFT12: MÉNAGE À TROIS von Natalie Pfister und Frank Haller“ weiterlesen

SFT12: COURAGE von Greg Zglinski

Courage

Mit Tout un hiver sans feu von 2004 wurde Zglinski zum Schweizer Filmpreisträger. Und mit seinem jüngsten Spielfilm, einer polnischen Produktion, zeigt er erneut ein Können und eine Sorgfalt, die begeistern. Es ist eine Geschichte brüderlicher Rivalität, die sich fast spielerisch anlässt, mit einer rasanten und riskanten Autofahrt, einem Rennen mit einem Zug, das der ältere Bruder riskiert und der jüngere erleidet, eine Vorwegnahme der zentralen Tragödie.Die GEschichte ist eben so komplex wie einfach, gut eingebettet in ein geschäftliches Milieu, das für sich schon Interesse weckt. Betreiben die beiden Brüder doch einen lokalen Internetservice – allerdings könnte das genauso gut eine Grossbäckerei sein, oder eine Wäscherei. Entscheidend ist,

dass Zglisnki eine ungeheure Sorgfalt verwendet auf die Figurenzeichnung. Und dass seine Schauspieler eine unaufgeregte Selbstverständlichkeit an den Tag legen, die fasziniert.

„SFT12: COURAGE von Greg Zglinski“ weiterlesen