Was für eine Freude, dieser Film! Er ist einfach und liebenswert, schmerzlich und komisch, linear und formlos zugleich. Anita Blumer erzählt von sechs Schwestern, die mit ihrer schon leicht wunderlichen Grossmutter am Zürcher Stadtrand in einem alten Haus mit Garten wohnen. Der Film hat damit fast die gleiche Ausgangslage wie Milagros Mumenthalers in Locarno ausgezeichneter Abrir puertas y ventanas. Auch hier geht es um Verantwortung der älteren Schwestern für die jüngeren, um den Weg aus dem Geschwisternest in die Welt hinaus, um den Tod der Eltern und der letzten Bezugsperson, um Liebschaft, Erotik, Zukunft, Vergangenheit.
Während aber Mumenthalers Film ein kompaktes, streng durchkomponiertes Kammerdrama ist, hat Alles eis Ding eine fröhliche Leichtigkeit, die manchmal ins Absurde rutscht und immer eine extreme Herzlichkeit ausstrahlt.
Ein Film mit Frauen, von Frauen, und alle sind sie unglaublich schön, auch zum Anschauen, aber vor allem wirklich. Dass die beiden Männer, die vorkommen, nichts zu sagen haben und kaum reden, ist mehr ein liebenswerter running Gag als programmatisch. Dass der Film irgendwo anfängt und irgendwo aufhört, eingefasst von der Erzählstimme einer der Schwestern, passt zur ganzen Offenheit des Konzeptes. Es sind die einzelnen Szenen, die das ganze Leben einfangen, immer wieder und immer wieder anders. Die Magie des leicht anderen Blickes, welche über all dem schwebt, ist jene von Pipi Langstrumpf, der Mädchenfigur, die unglaublich stark ist und darum die Welt um sich herum anders aussehen lässt. Bei Alles eis Ding funktioniert das in beide Richtungen. Die Schwestern verändern unseren Blick auf Momente und Situationen, indem sie unglaublich stark, oder auch unglaublich schwach darauf reagieren. Es wird zweifellos Mäkler geben, die feststellen, dass das nicht eigentlich ein Film sei, im klassischen Sinne, mit Aufbau und drei Akten und Dramaturgie. Stimmt alles. Ist aber nicht nötig: Ist alles ein Ding.
Alles ist ganz leicht in Richtung Wahrhaftigkeit verschoben, weg von der gewohnten Realität und Wahrnehmung. Und noch etwas macht diesen Film (der mit 64 Minuten auch ungewohnt kurz, aber genau richtig ist, wie Lionel Baiers Toulouse) zu einem Glücksfall: Es ist der letzte mit Stephanie Glaser. Er ist dabei eine grosse Hilfe, wenn es darum geht, den biederen TV-Krimi Mord hinterm Vorhang zu vergessen, in dem sie zwar in alter Frische spielte, aber leider von der Miss-Marple-Klamotte fast zugedeckt wurde. In Alles eis Ding spielt sie eine leicht demente Grossmutter mit einer unglaublichen Präsenz, komödiantisch, mimisch, mit faustdickem Witz in aller Stille.
Lieber Herr Sennhauser
Sie sprechen mir aus dem Herzen! Die Herzlichkeit und Leichtigkeit, die „Alles eis Ding“ ausmacht, spiegelt sich auch in Ihrer Kritik. Ungewohnt und erfreulich, für Schweizer Rezensionen.
Danke an Anita Blumer und ihr Team für ihre kleine Perle!