BAI TA ZHI GUANG (The Shadowless Tower) von Zhang Lu

Xin Baiqing als Gu © Lu Films

Gu Wentong ist geschieden, seine kleine Tochter lebt bei seiner Schwester und seinem Schwager. Er war einst Dichter, Teil einer ganzen Feundesclique, deren bekanntester Exponent mittlerweile in Paris lebt.

Nun schlägt sich Gu Wentong als Foodblogger in Peking durch, besucht so oft wie möglich seine kleine Tochter und bleibt auf Distanz, wenn die deutlich jüngere Fotografin Ouyang Wenhui mit ihm flirtet. Was ständig passiert, denn sie fotografiert für seinen Blog. „BAI TA ZHI GUANG (The Shadowless Tower) von Zhang Lu“ weiterlesen

SUPERPOWER von Sean Penn und Aaron Kaufmann

Sean Penn im Interview mit Selenski © 2022. THE PEOPLE’S SERVANT

Putins Angriff auf die Ukraine verwandelte über Nacht ein Dokumentarfilmprojekt zum Schauspieler, der Präsident der Ukraine geworden war, in ein Plädoyer für mehr Ukraine-Unterstützung. Und Sean Penn in einen leidenschaftlichen Selenski-Fan.

Ein unterhaltsames Porträt hätte das werden sollen. Die Geschichte des populären Komikers und Schauspielers Wolodimir Selenski, der in einer Fernsehserie den Präsidenten des Landes spielte, den er dann tatsächlich werden würde. „SUPERPOWER von Sean Penn und Aaron Kaufmann“ weiterlesen

BLACKBERRY von Matt Johnson

Jay Baruchel, Pranay Noel, Steve Hamelin, Matt Johnson, Ethan Eng, Ben Petrie, Michael Scott © Budgie Films Inc.

Der erste Wettbewerbsfilm der 73. Berlinale ist eine Tech-Tragikomödie aus Kanada. Sie erzählt die Geschichte der ersten Smartphone-Produzenten – als prototypische Silicon-Valley-Satire.

Waterloo war nicht nur der Anfang vom Ende von Napoleon, sondern auch der von BlackBerry. Allerdings Waterloo, Ontario. Und der Blackberry, das war nicht nur das erste Smartphone, sondern für ein paar Jahre auch das Must-have-Gadget für jeden Businessman, Politiker und alle anderen Mischler. „BLACKBERRY von Matt Johnson“ weiterlesen

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN von Emily Atef

‚Irgendwann werden wir uns alles erzählen‘: Marlene Burow © Pandora Film / Row Pictures

Leidenschaft und Drama geht wieder. Auch mit Sonnenuntergang und wogendem Kornfeld. Emily Atefs Film verblüfft mit einer wilden Mischung aus Wendezeit-Rekonstruktion und grosser tragischer Liebe.

Maria ist 19 Jahre alt und lebt bei ihrem Freund auf dem Hof von dessen Eltern. Sie ist längst eine weitere Tochter im Haus, auch wenn die Währungsunion und die schnelle Abwicklung der DDR sich ganz unterschiedlich auf die Gemüter und die Zukunftspläne der Menschen auswirken. „IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN von Emily Atef“ weiterlesen

THE SURVIVAL OF KINDNESS von Rolf de Heer

‚The Survival of Kindness‘ BlackWoman (Mwajemi Hussein, R) BrownGirl (Deepthi Sharma) © Triptych Pictures and Vertigo Productions

Wenn es die Serie The Walking Dead nicht gäbe, wäre dieser Film auch in seiner Ästhetik einzigartig. Rolf de Heer hat im Outback eine Zombie-Apokalypse ohne Zombies gedreht, eine Welt-Parabel um Kolonialismus, Rassismus, Sklaverei, Unterdrückung.

Am Anfang sehen wir Männer und Frauen in Gasmasken, die einen Kuchen aufteilen, der eine Art KZ-Szene in Miniatur darstellt: Baracken und ein paar dunkelgesichtige Leichen dazwischen. „THE SURVIVAL OF KINDNESS von Rolf de Heer“ weiterlesen

SHE CAME TO ME von Rebecca Miller

Peter Dinklage in ‚She Came to Me‘ von Rebecca Miller © Protagonist Pictures

Herzlichkeit, Familiendrama und verhaltene Starpower hat die 73. Berlinale zu ihrer Eröffnung aufgeboten. Anne Hathaway und Peter Dinklage spielen ein gegensätzliches Paar in Rebecca Millers She Came to Me.

Peter Dinklage, einer der Stars der Serie «Game of Thrones» hat es geschafft. Seine Kleinwüchsigkeit ist schlicht kein Thema in diesem Film. Dinklage spielt den begnadeten Opernkomponist Steven, der nach seinem letzten Meistwerk so sehr unter kreativer Blockade litt, dass er schliesslich seine Therapeutin Patricia (Anne Hathaway) heiratete. „SHE CAME TO ME von Rebecca Miller“ weiterlesen

MAD HEIDI von Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein

Alice Lucy ist Heidi ©Swissploitation Films LLC

Nach fünf Jahren Entwicklung, Crowdfunding, Merchandising und dem Aufbau einer globalen Fan- und Investoren-Basis hat der «Swissploitation»-Film Mad Heidi im Zürcher Kongresshaus als ZFF-Special sein erstes Schweizer Publikum gefunden.

Nein, es ist erst mal nicht wahnsinnig lustig, wenn Max Rüdlinger als sadistischer Kommandant Knorr sein laktose-intolerantes Opfer mit Fondue waterboardet.

Oder doch? „MAD HEIDI von Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein“ weiterlesen

DIE GOLDENEN JAHRE von Barbara Kulcsar

Esther Gemsch und Stefan Kurt © filmcoopi

Für das frischpensionierte Ehepaar Alice und Peter entpuppt sich der Start in Die goldenen Jahre als unerwartet dramatische Knacknuss. Petra Volpe (Die göttliche Ordnung) hat das Drehbuch geschrieben, Barbara Kulcsar (Nebelgrind) inszeniert Esther Gemsch, Stefan Kurt und Ueli Jaeggi in dieser Dramödie, die am ZFF ihre Premiere feierte.

«Unser Sohn ist ein Gigolo. Und unsere Tochter trinkt zu viel».

Das bemerkt der frisch pensionierte Peter (Stefan Kurt) gegenüber seiner Frau Alice (Esther Gemsch) am Schluss der grossen Feier mit Familie und Freunden.

Und schiebt grinsend nach: «Nümm üsses Problem!» „DIE GOLDENEN JAHRE von Barbara Kulcsar“ weiterlesen

Zum Tod von Alain Tanner

Alain Tanner ist tot. Der wichtigste und erfolgreichste Vertreter des neuen Schweizer Films der 1960er und 70er Jahre ist heute Morgen 92jährig gestorben.

Zwölf Jahre bevor Hollywood mit dem feministischen Roadmovie Thelma & Louise zwei Frauen aus den gesellschaftlichen Zwängen ausbrechen liess, hatte Alain Tanner das schon in der Schweiz durchgespielt.

Messidor hiess Tanners Film von 1979, in dem die Studentin Jeanne und die Verkäuferin Marie aufbrechen, um die Freiheitsmöglichkeiten der reichen Schweiz zu erkunden – und tödlich scheitern. „Zum Tod von Alain Tanner“ weiterlesen

EN ATTENDANT BOJANGLES von Régis Roinsard

‚En attendant Bojangles‘ Virginie Efira, Romain Duris © Pathé Films

Warten auf Bojangles – «En attendant Bojangles» – war der Debutroman von Olivier Bourdeaut, ein sofortiger Bestseller in Frankreich. Jetzt tanzt die leichtfüssige Geschichte einer depressionsgefährdeten grossen Liebe über die Leinwand. Der Film von Régis Roinsard ist grosses Kino, weil er den emotionalen Absturz achterbahnmässig aufbaut.

«Mr. Bojangles», der traurige Clown im Gefängnis, der mit seinen Sprüngen alle zum Lachen bringt, wurde seit den 1960er Jahren von allen Grossen besungen, von Sammy Davis jr. über Bob Dylan bis zu Nina Simone.

Bojangles steht nicht nur im Titel des Romans von Olivier Bourdeaut, er ist auch das perfekte Bild für himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, das die Geschichte einer ganz grossen manisch-depressiven Liebe prägt. In dieser Geschichte ist die von Virginie Efira gespielte Camille eine Art Bojangles.

Virginie Efira, Romain Duris © Pathé Films

Régis Roinsard beginnt seinen Film auf dem absoluten manischen Höhepunkt. Der von Romain Duris gespielte Garagenbesitzer Georges Fouquet verliebt sich in Camille, als diese an einem mondänen Fest voll bekleidet ins Wasser springt. Beide lieben das Spiel mit dem Schein; sie spielen für sich gegenseitig die verrücktesten Figuren, mit den absolutesten Ansprüchen an das Leben, die Liebe und die Leidenschaft.

Vor allem Camille will nichts wissen von den banaleren Seiten des Alltags. Die beiden heiraten, bekommen einen Sohn und leben im permanenten Rausch des Feierns und Tanzens.

Natürlich geht es nicht lang, bis man sich als Zuschauer fragt, wo denn die Realität im Leben dieses Paares bleibt. Camille ist die Königin des Ausblendens, was nicht passt, wird ignoriert, seien es die Rechnungen, die sich in der Wohnungsecke stapeln oder die geregelten Ansprüche der Schule an die Erziehung des Sohnes – aus dessen Perspektive die Geschichte auch zunehmend erzählt wird.

Virginie Efira, Solan Machado-Graner, © Pathé Films

Camilles charmante Verrücktheit ist mitreissend, nicht nur für ihren Mann und ihr Kind.

Er habe die Verrücktheit immer als etwas Fantastisches begriffen, sagt Regisseur Roinsard.

Und so präsentiert sich denn auch die erste Hälfte seines Films als mitreissende Utopie, als Feier der Liebe und der Lebensfreude. Bis Vater und Sohn bei Camille immer mehr Anzeichen heimlicher Trauer oder gar Verzweiflung bemerken.

Virginie Efira, Solan Machado-Graner, Romain Duris © Pathé Films

Camille ist, nüchtern betrachtet, manisch-depressiv. Und ihre Abgründe reissen ihren Mann und ihren Sohn schliesslich genauso mit, wie ihre Höhenflüge.

Diese Gefühlsachterbahn hat nicht nur den Roman getrieben, sie eignet sich auch perfekt für das Kino. Das ist in seiner intensivsten Ausprägung als Melodram ja grundsätzlich manisch-depressiv.

Den Kontrast von himmelhochjauchzend zum Absturz fängt im Film wie im Roman der Blick des erzählenden Sohnes auf. Er nimmt uns, im Rückblick, als Erwachsener, mit auf die Reise, die er überlebt hat, indem er auch die Höhenflüge seiner Eltern in Erinnerung behält.

En attendant Bojangles ist als Film darum mindestens so stark wie das Buch, weil Regisseur Roinsard das Kino hier ganz grundsätzlich als Achterbahn der Gefühle laufen lässt. Lachen und Weinen, das eine befeuert das andere.

Kinostart Deutschschweiz: 4. August 2022