Lässt sich der Schweizer Film "sanieren" wie die UBS oder Novartis?

Peter Liechti (c) Peter LiechtiAuf der noch immer im Aufbau begriffenen, aber schon jetzt spannenden und bissigen Textsammlungsseite Cinelemmata von Mathias Knauer findet sich neuerdings ein spannender kleiner Essay von Dokumentarfilmer Peter Liechti. Liechti, der Tüftler mit eigenen Massstäben, wehrt sich mit leiser Verzweiflung gegen die Publikums-Optimierungsforderungen, die sich in der gegenwärtigen Filmpolitik immer stärker ausbreiten. Und Angesichts einer flachbrüstigen Hirnrissigkeit wie dem aktuellen Tell-Film von Mike Eschmann geht einem beim folgenden Satz von Liechti erst recht das Herz auf:

Filmemachen bedeutet mir persönlich etwas ganz anderes, als möglichst Vielen gefallen zu wollen. Und ich stehe zu dieser "Arroganz", weil ich überzeugt bin, dass nur das Eigene etwas beitragen kann zu dem, was auch die Anderen – das Publikum im weitesten Sinne, sogar im Ausland – nachhaltig interessieren könnte. "Moi – radicalement subjectif" lautet der Titel eines Seminars, das im kommenden Semester an der HES-SO in Lausanne stattfinden wird. Merci!

Gäbe es doch mehr wie ihn, mit Witz und Wut! 

Ang Lee – Zuviel Sex für die Amerikaner

Tony Chiu-Wai Leung und Wei Tang in ‚Se, jie‘ (2007)

Nur Tage bevor Ang Lees jüngster Film mit dem adäquaten Titel Se jie (Lust, Vorsicht) am Filmfestival von Venedig Weltpremiere feiert, hat die Jugendschutzkommission der Motion Picture Association of America (MPAA) dem Film eine NC-17 certification verpasst. Damit werden normalerweise besonders krude Horrorfilme ausgezeichnet, deren Publikumspotential damit von vorneherein auf eine eingeschränkte Zielgruppe reduziert wird. Ein Riesenerfolg, wie ihn Ang Lees Brokeback Mountain auch in den USA feiern konnte, ist damit ausgeschlossen.

Sowohl die New York Times wie auch der britische Guardian haben heute entsprechende Artikel online. Der Grund für das harsche Rating sind offenbar ein paar akrobatische und explizite Sexszenen mit Tony Leung und der Newcomerin Wei Tang. Gemäss dem Artikel bei der NYT ist Ang Lee überzeugt, dass diese Szenen absolut notwendig sind für seine Umsetzung einer Kurzgeschichte der chinesischen Autorin Eileen Chang. Für die Auswertung des Films in China war allerdings von Anfang an eine geschnittene Fassung vorgesehen. Sex und alles, was an Geschlechterpolitik damit zusammenhängt, hat in den meisten Filmen von Lee eine wichtige Rolle gespielt. Allerdings, so Lee in der NYT, hätte er es besonders hart gefunden, sich für diesen Film in die Welt der im asiatischen Raum hochverehrten Autorin Eileen Chang einzufühlen: „Es gab Tage, da hasste ich sie dafür. [ihre Welt] ist so traurig, so tragisch. Aber dann wird dir klar, dass es in ihrem Leben ein Defizit an Liebe gibt, an romantischer Liebe, an Familienliebe. Das ist die Geschichte über das, woran die Liebe für sie gestorben ist.“

Ich bin gespannt, ob der Film in den USA zum Kulturpolitikum wird, wie seinerzeit The Last Tango in Paris. Oder ob sich einfach wieder einmal zeigt, wie sehr Business (auf das die MPAA Ratings letztlich abzielen) und Kunst voneinander isoliert werden können im Kino. Insofern ist der Film weiterhin das wohl schillerndste Kulturphänomen überhaupt.

Brannte Rom für Mailand?

Filmposter Quo vadisLetzten Freitag ging es wie ein Lauffeuer durch die Medien. Rom brennt! Ganz Rom? Nein, nur ein kleiner Teil des ehrwürdigen Cinecittà-Studiogeländes, dort, wo die teure "Rom"-Serie gedreht wird. Am Tag davor, am 9. August meldete der Hollywood Reporter, dass Investoren in Mailand ein neues Filmstudio planen, das auch Schweizer Kunden anziehen soll. Zwei Tage früher schon hatte die Schweizerische Depeschenagentur SDA von den Plänen berichtet:

Mailand will verstärkt auf Filmindustrie setzen  – Moderne Filmstudios sollen Schweizer Investoren anziehen
 
   Rom (sda/apa) Mailand will verstärkt auf die Filmindustrie
setzen und zu einem Gegenpol Roms und dessen Filmstudios Cinecitta aufrücken. Wegen der Nähe zur Schweizer Grenze haben die Initianten auch Schweizer Investoren im Visier.
 
   In zwei Wochen werden in einem ehemaligen industriellen Gelände neue Studios eröffnet. Ziel ist, die Film- und TV-Serien-Produktion in Mailand zu fördern, berichteten italienische Medien am Donnerstag.
 
   «Die neuen Studios werden vor allem Schweizer Kapital anziehen,
weil der Tessin sehr nahe ist», betonte der Chef der föderalistischen Oppositionspartei Lega Nord, Umberto Bossi, der sich seit Jahren für eine starke Filmproduktion in Mailand einsetzt, um die norditalienische Kultur zu fördern.
 

(SDA-ATSÖ/iw/c4ita ti kul div)

Böse, intelligente Texte zur Film- und Kulturförderung

Mathias Knauer, Filmemacher und Kulturaktivist, gehört seit vielen Jahren zu den Streitbaren und Unbeugsamen in der Schweizer Filmszene. Er hat sich immer stark gemacht für den unabhängigen Autorenfilm, hat sich gewehrt gegen Automatismen und verwaltete Kultur. Jetzt hat Knauer, als Experiment, eine Website eröffnet, welche künftigen Debatten durchaus zu mehr Elan und Feuer verhelfen könnte: 

… daß im Bundesamt für Kultur keine Kulturtäter sitzen, nicht einmal Fachleute, sondern karriereorientierte Beamte, die dem Departementschef aus der Hand fressen, statt ihn mit bundeswürdigen und nachhaltigen Konzepten zu konfrontieren und ihn vor einer lächerlichen Politik abzuhalten. (ganzer Text hier)

Noch finden sich erst wenige Texte auf der Seite. Aber Knauer hofft

darauf, dass die Seite zu einem Forum werden könnte. Zur Zeit ist alles direkt zugänglich (und im Aufbau), in Zukunft soll man sich aber zuerst registrieren, damit die Diskussionen nicht anonym im Sand verlaufen. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt und vor allem, wie viele Protagonisten der Filmbranche den Mut haben werden, wie Knauer mit ihrem Namen zu ihrer Meinung zu stehen. Hier noch einmal der Link: http://cine.lemmata.ch/

 

Die einen zahlen, die anderen feiern?

Sie darf bestimmt rein, wenn sie will, heute um 18 Uhr beim Swissfilms Empfang in der Casa Rusca. Etliche Filmemacher dagegen sind sauer. 300 Plätze (für einen Stehempfang notabene) gibts in diesem Tessiner Innenhof. Und die Gästeliste für Swiss Films hat angeblich in erster Linie Bideaus Sektion Film zusammengestellt. Nun gibt es etliche Filmemacher, die da nicht rein dürfen, dabei hat ihre Urheberrechtsgesellschaft Suissimage den Empfang zu guten Teilen finanziert. Aber es stimmt natürlich, es geht um den Schweizer Film heute. Nicht um die Filmemacher.

Walpen lässt sich nicht lumpen: 10 Jahre pacte de l’audiovisuel

Heute hat der oberste Boss unseres Mutterhauses SRG SSR idéé suisse, Generaldirektor Armin „Idefix“ Walpen die Medien in Locarno zur Information geladen. Später, gegen 23 Uhr, soll dann gegessen und gefeiert werden. Hier aber mal die 4 wichtigsten Informationen:

1. das Produktionsabkommen zwischen SRG SSR und den Filmproduzenten der Schweiz, der „pacte“ ist zehn Jahre alt und in diesen zehn Jahren habe sich das bewährt. Die Grabenkämpfe

zwischen Fernsehen und unabhängigen Filmern seien beigelegt. Darum wird der pacte auch demnächst neu verhandelt.

2. zur Feier des Jubiläums gönnt die SRG SSR idée suisse sich und dem Schweizer Film eine „Video on Demand“ Plattform. Zum Preis von 1 bis 6 Franken können derzeit rund 30 Filme heruntergeladen und während 48 Stunden beliebig oft angeschaut werden. Auf Windows-PCs. Ausschliesslich. Weil es nur für diese Plattform ein kostenloses Digitales Rechte Management DRM gibt (clever von Bill Gates, nicht? Nach 48 Stunden lösen sich übrigens die Megabytes auf der Festplatte nicht in Rauch auf (nix Mission Impossible), sie lassen sich einfach nicht mehr abspielen. Praktisch.

3. Armin Walpen wünscht sich in absehbarer Zeit eine Direktübertragung der Schweizer Filmpreisverleihung am Fernsehen. Denkbar sei das per 2009, die Solothurner Filmtage seien dann aber natürlich nicht mehr der richtige Ort dafür, eine live-TV-Kiste in der Prime Time braucht eine andere Infrastruktur. (Ivo Kummer von den Filmtagen kann sich das übrigens gut vorstellen. Er wünscht sich in diesem Fall einfach, dass dafür die Nominationen für den Filmpreis in Solothurn bekannt gegeben werden. Echt clever: Die Medien ohne die Peinlichkeiten, es wäre ihm zu gönnen)

4. Die SRG SSR idée suisse hat eine halbe Million Franken bereitgestellt, für die originellsten Promoaktionen, um CH-Filme ins Kino zu bringen. Man kann sich ab sofort bewerben.

Umverteilte Festivalsubventionen: Gerüchte

Die Medienkonferenz des EDI, bzw. des Bundesamtes für Kultur und der Sektion Film ist zwar erst morgen Freitag um 10.45 Uhr in Locarno, aber die Gerüchteküche hat schon einiges ausgespuckt im Hinblick auf die künftigen Filmfestivalsubventionen des Bundes. Hier also die ersten unvollständigen Zahlen, ob sie stimmen, erfahren wir morgen: Solothurner Filmtage: 330'000 Fr.  (wie bisher), NIFFF in Neuenburg und Animationsfilmfestival Fantoche, Baden: je 75'000 Fr., Kurzfilmtage Winterthur: 50'000 Fr. Cinema tout écran in Genf bekommt gar nichts mehr, dafür wird das junge Zurich Film Festival neu mit 50'000 Fr. unterstützt. Ob neben tout écran wie erwartet auch das Festival de Fribourg über die Klinge springen muss für die Zürcher, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

Nachtrag vom 3. August nach dem Sprung: 

2007-08-03 12:16:15

Die Zahlen von gestern haben sich als korrekt erwiesen. Ergänzung jetzt nach der Pressekonferenz: Das Filmfestival Fribourg bekommt für 2008 100'000 Franken, für die Grossen Nyon und Locarno wurden die Subventionen leicht erhöht: Locarno: 1'350'000 Fr. Nyon: 400'000 Fr. Also keine grosse Überraschung mehr heute.

Filmpodcast Woche 31 2007: 1 to 1, Schwarzenegger, Bergmann, Bideau, Locarno

Herzlich Willkommen zum DRS Filmpodcast für die Woche 31. Direkt aus Locarno und rappelvoll. Nadja Fischer nimmt Abschied von Ingmar Bergmann, Pierre Lachat bespricht den dänischen Film 1 to 1, Max Akerman in San Francisco fasst zum 60. Geburtstag die politische Karriere von Arnold Schwarzenegger zusammen. Und dann steigen wir ein ins Filmfestival von Locarno, mit einem historischen Beitrag von Erich Facon, einem kurzen Gespräch mit Festivaldirektor Frédéric Maire und zwei filmpolitischen Beiträgen von mir zur Subventionspolitik von Bundesfilmchef Nicolas Bideau.

Alle Macher sind schon da…

Jauslin Solari Maire
Jauslin Solari Maire

Gestern Abend, 18 Uhr, Castello Visconteo, Locarno. Ein Empfang zur Einweihung der neuen digitalen Projektionskabine. Und wer diskutiert da schon die Zukunft des Festivals? Klar, Jean-Frédéric Jauslin, Chef Bundesamt für Kultur, Marco Solari, Präsident des Festivals und Frédéric Maire, der Festivaldirektor. Und worüber unterhalten sie sich wohl? Logisch: Solaris unkonventioneller Vorschlag, die Bundesfinanzierung des Festivals aus dem Bundesfestivalbudget herauszulösen, den die NZZ gestern veröffentlicht hat. Das wirdin den nächsten Tagen noch zu diskutieren geben. Zumal am Freitag das BAK bekannt gibt, welche Festivals überhaupt und wie hoch subventioniert werden sollen. Solaris Vorschlag, für Locarno einen Sonderzug einzurichten, ist nicht so absurd, wie das auf den ersten Blick aussieht: Es hat ihn schon, fast die Hälfte der Bundesfestivalgelder gingen schon bisher nach Locarno. Mit der „Lex Locarno“ müssten die anderen Festivals nicht mehr gemeinsam und heimlich gegen den grossen Bruder gifteln, sondern könnten sich endlich richtig auf den Konkurrenzkampf untereinander konzentrieren.

CH-Dokfilmer sauer auf Bundesfilmchef Bideau

Cine-BulletinIn der aktuellen Ausgabe 8/2007 der Branchengazette "Cine-Bulletin" veröffentlicht der Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz einen von 128 Filmern unterzeichneten Aufruf an den Bund, den renommierten Schweizer Dokumentarfilm nicht weiter zu vernachlässigen:

Werden die Dokumentarfilmerinnen und -filmer vom Bund vernachlässigt?
Wird der Bund seiner Aufgabe noch gerecht, wenn er von den insgesamt 16 Millionen Franken für die Filmförderung dem Dokumentarfilm nur gerade 3 Millionen Franken zukommen lässt? Anlässlich seines Amtsantritts im Herbst 2005 hatten 70 Dokumentarfilmerinnen und -filmer in einem Brief an den neuen Chef der Sektion Film, Nicolas Bideau, ihre Beunruhigung darüber zum Ausdruck gebracht, …

was er für diesen Bereich des Filmschaffens plante. Tatsächlich verfügte der Dokumentarfilm in der Zeit vor Bideau über einen Anteil von mehr als 30 Prozent der eidgenössischen Filmförderungsmittel. Im Jahr 2006 ist dieser Anteil jedoch auf 19 Prozent gesunken. Nicolas Bideau hat damit seine 2005 gemachte Zusage gebrochen, der Dokumentarfilm werde einen Anteil von einem Viertel der verfügbaren Mittel behalten.
Der Dokumentarfilm ist eine eigenständige anerkannte Gattung, die für die Gesamtheit ihrer Branche Stabilität und Konstanz gewährleistet. Es ist absurd, den Schweizer Dokumentarfilm im eigenen Land auf solche Weise zu schwächen, während er im Ausland an internationalen Festivals und bei Fernsehanstalten in vielen Ländern Jahr für Jahr Erfolge erzielt und sogar die Meisterleistung vollbringt, sich den Weg in die Schweizer Kinos zu bahnen, ein weltweit fast einzigartiger Glücksfall.
Die unterzeichnenden Filmschaffenden ersuchen die Eidgenössische Filmkommission, eine Vertretung der Dokumentarfilmschaffenden zu den Gründen anzuhören, weshalb der Dokumentarfilm Kino und TV darauf angewiesen ist, künftig mit mindestens einem Viertel der verfügbaren Mittel des Bundes rechnen zu können.
Der Aufruf der Schweizer Dokumentarfilmer 2007 wurde von 128 Autoren unterzeichnet.

Am 4. August treffen sich die Filmer am Filmfestival von Locarno zu einer Lagebesprechung. Am 3. August gibt die Sektion Film vom BAK eine Pressekonferenz in Locarno, wo unter anderem auch bekannt gegeben wird, welche Filmfestivals weiter auf Bundesunterstützung zählen dürfen, und welche nicht. Und Nicolas Bideau wird wohl noch auf weitere Unzufriedenheiten in der Branche eingehen müssen.