Vor zwei Jahren sahen wir die beiden zum ersten Mal im gleichen Film. Emma Thompson spielte in Marc Forsters Stranger than Fiction die leicht hysterische Schrifstellerin („I killed eight people. I counted.“) , Dustin Hoffman war der desillusionierte Literaturprofessor. Ihre beiden Nebenrollen waren die eigentlichen Highlights des Filmes. Als ich im Dezember in San Francisco den Trailer zu Last Chance Harvey sah, ging mir gleich das Herz auf. Leider ging es den Amerikanern offenbar anders: Der Film ist bald nach seinem limitierten Start in den USA wieder verschwunden und kommt im Mai bereits auf DVD in den Verkauf. Bei uns dagegen startet die romantische Komödie diesen Mittwoch in der Westschweiz und Anfang April in der Deutschschweiz. Die Chancen stehen gut, dass das Schweizer Publikum die Paarung von Thompson und Hoffman besser goutiert, denn der Film ist eine eigentümliche Mischung aus künstlich aufpoliertem amerikanischem Drehbuch und britischer Sophistication. Im Kern lebt Regisseur Joel Hopkins‘ schamlos hingebogene Story von Emma Thompsons spielerischer Grosszügigkeit und Dustin Hoffmans unbändigem Bedürfnis, im Alter noch einmal zu gefallen.
Beide spielen sie Figuren, denen ein durchsichtiges Standard-Drehbuchschicksal um die Schultern gelegt wird. Er ist der abgehalfterte und lange geschiedene Jingle-Komponist einer amerikanischen Werbebude, der nach London kommt zur Hochzeit seiner Tochter. Sie arbeitet am Flughafen als Passagier-Befragerin für das statistische Amt, betreut ihre einsame Mutter und ist Single. So sehr, dass sie von ihren Arbeitskolleginnen zu peinlichen Dates gepresst wird, vor denen es ihr immer schon im voraus graust.
Natürlich sind sie schliesslich das zögerliche Traumpaar, das sich zunächst immer wieder verpasst und dann schliesslich gegen alle inneren Widerstände zusammenfindet. Hoffman, der seine Figur zugleich routiniert und mit dem anbiedernd-rührenden Charme des alternden Schauspielers auf Teufel komm raus in die Kamera drückt, erinnert ein wenig an Jack Lemmon in seinen Altersrollen. Wenn er leicht schusselig und schicksalsergeben gegen die Tränen ankämpft, als ihm seine Tochter eröffnet, sie wolle sich lieber von ihrem Stiefvater als von ihm „weggeben lassen“, ist das Rührschmiere, wenn auch von höchster Qualität.
Ähnlich schamlos ist Emma Thompsons Rolle ausgelegt, zumindest dort, wo sie in plotmalerischen Szenen die resignierte alternde Jungfer zu geben hat. Aber als Schauspielerin mit britischer Bühnentechnik versteht sie es wunderbar, so zu schmieren, dass immer klar ist, dass sie mit wunderbarer Grosszügigkeit gegenüber der Rolle, dem Drehbuch, dem Publikum, und – vor allem – ihrem Leinwandpartner Hoffman zu Liebe spielt.
In ihren kombinierten Auftritten schwingen sich die beiden aber zu Höchstleistungen auf. Er gibt den draufgängerisch-bescheidenen Charmeur, den der Filmtitel von ihm verlangt, sie die empfängliche, aber vorsichtige Frau mit Herz, die sich mittelfristig gerne retten lassen würde. Dabei zünden diese Szenen aus zwei fast gegensätzlichen Gründen mit der Kraft eines kleinen Feuerwerkes: Sie sind absehbar geschrieben, die Rollen sind klar verteilt, und als Zuschauer weiss ich, worauf das hinaus zu laufen hat, ich geniesse also den Höhenflug in Kenntnis der Landebahn. Gleichzeitig aber gibt Hoffman immer alles, mit zitternden Nasenflügeln und innerlich bebend, der Spieler, der alles auf die gleiche Karte setzt und weiss, dass man ihn dafür nur lieben oder hassen kann. Während Emma Thompson die flatternde Zurückhaltung und das verschüttete Herz aus Gold dermassen souverän spielt, dass man sich einfach verlassen kann darauf, dass da noch viel mehr Können dahinter steckt, und viel weniger Gefallsucht als bei Hoffman. Weil aber beide Rollen auch genau so konstruiert sind, seine als Schaustück und ihre als Bühnenbild für die Titelfigur, geht die Rechnung auf und macht Spass.
Mich hat das kalkulierte Zusammenspiel der beiden an die Anekdote vom Dreh von Schlesingers Marathon Man (1976) erinnert: Da soll Jungstar Dustin Hoffman, der für seine Titelrolle täglich joggen ging, seinen britischen Gegenspieler Laurence Olivier aufgefordert haben, ihn – method-acting-konform – doch einmal zum Laufen zu begleiten. Worauf Olivier angeblich sagte: „Try acting, my boy. It’s so much easier“ (Versuchs mit schauspielern, mein Junge, es ist so viel einfacher). Die Paarung Emma Thompson – Dustin Hoffman in Last Chance Harvey wirkt ganz ähnlich: Er spielt (sehr wirkungsvoll) um sein Leben, sie steht (oder sitzt) ruhig daneben und sagt im richtigen Moment auf die richtige Art die richtigen Dinge. Und zwar darum, weil sie es kann, nicht bloss darum, weil die so im Drehbuch stehen.
das ist so gut geschrieben, dass man den Film schon darum mögen muss,weil er so einen Kritiker inspiriert hat!
Danke Bruderherz, jetzt freu ich mich halt auf die DVD. Die Kritik da oben gehört übrigens gedruckt. Solange Gedrucktes noch mehr Beachtung findet, jedenfalls.