Spätestens als Cristian Mungiu vor zwei Jahren in Cannes die goldene Palme gewann, stellte die Welt fest, dass das junge rumänische Kino im Begriff war, mehr als nur sich selbst zu erneuern. Jetzt kommt mit Picnic von Adrian Sitaru ein neuer Beweis für die Vitalität dieser eben so jungen wie radikalen Filmemacher aus Rumänien bei uns ins Kino.
Das Erste, was auffällt an Sitarus Film, ist die extreme subjektive Kamera. Sie sieht ausschliesslich das, was die Protagonisten sehen. Zudem handelt es sich um eine wackelige Handkamera. Wenn also ein Mann und eine Frau aus einem Haus kommen und ihr Auto für ein Picknick beladen, dann ist das schon ziemlich gewöhnungsbedürftig: Kommt sie auf ihn zu, während er den Kofferraum schliesst, bewegt sich die Kamera dort, wo ihr Kopf wäre. Dann geraten die beiden in einen kurzen Wortwechsel : Darf Er fahren, obwohl er keinen Führerausweis hat? Da ist der Blickwechsel von ihm aus dem Auto heraus zu ihr neben der Fahrertür und zurück ziemlich anstrengend.
Aber man gewöhnt sich an die radikale Subjektivität, zumal die Dialoge während der Autofahrt dann fast schon klassisch geschnitten wirken. Jedenfalls so lange er nicht auf ihre Knie unter dem Steuer guckt, oder die Hand ausstreckt und ihr Gesicht zu seinem hinüber dreht. Aber dann lässt einen die Anspannung die subjektive Kamera vergessen. Die Frau fährt auf einem Weg am Waldrand eine junge Prostituierte an, und beide glauben zuerst, die junge Frau sei tot …
Die aufreizend offenherzige junge Frau lässt sich zum Picknick am See mitnehmen und spielt dort auf wenigen Metern den Go-Between und Katalysator des Paares. Sie versucht, ihn zu verführen, entlockt ihr Bemerkungen darüber, wie schwer es ihr fällt, ihren nicht anwesenden Ehemann zu verlassen. Mit gezielten Indiskretionen und Fragen verunsichert sie den Mann und die Frau, bis die beiden am Abend froh sind, den Rückzug antreten zu können.
In nur zehn Tagen hat Adrian Sitaru diesen eben so radikalen wie raffinierten kleinen Film abgedreht. Fast alles daran ist irritierend, die verstörende Paarpsychologie und die Lokalisierung am See erinnern an den ähnlich gelagerten Film Das Messer im Wasser, mit dem Roman Polanski 1962 das polnische Kino revolutionierte. Picnic ist optisch wie psychisch keine leicht verdauliche Kunst. Es ist ein Film, der ohne Handlungs- oder Szenenaufwand ein Maximum an Aufmerksamkeit fordert. Aber Langeweile kommt in keinem Moment auf. Die betont bizarre Alltäglichkeit der Dialoge und Abläufe zwingt einen förmlich dazu, nach einer symbolischen Ebene zu suchen. Und die wiederum ist zwar immer wieder leicht zu finden, aber nie plump oder eindeutig.
Mit Picnic beweist das aktuelle polnische rumänische Kino einmal mehr, dass es jetzt dort steht, wo sich das dänische Kino mit der Dogma-Erneuerung Mitte der 90er Jahre befand: Mitten in einem unübersehbar spannenden Aufbruch.
«Mit Picnic beweist das aktuelle polnische Kino einmal mehr»?
@Thomas: das rumänische Kino natürlich. Danke, wir korrigieren.
Wenn man „picnic film Christian Mungiu“ in Google eingibt und hofft, die Homepage zu finden, ist dieser Blogeintrag der erste Hit! Just so you know…
naja, ich hätte auch eher picnic film Adrian Sitaru eingeben müssen…