Cannes 11: MICHAEL von Markus Schleinzer

Markus Schleinzer kommt aus der Haneke-Schule, daran lässt dieser Film keinen Zweifel. Kühl, distanziert, methodisch, pedantisch und präzise, wie die Titelfigur, handelt der Film seine Geschichte ab: Die letzten Wochen eines Mannes mit dem Zehnjährigen, den er in seinem Keller gefangen hält. Das sei keine verklausulierte Natascha-Kampusch-Geschichte, insistiert der Regisseur, und damit hat er bestimmt recht. Aber es ist ein Film aus Österreich, die Geschichte eines Mannes und eines im Keller des Mannes gefangenen Kindes. Dabei bleibt dem durchschnittlich aufmerksamen Zuschauer lange verborgen, welcher der beiden den Namen Michael trägt. Und wenn es dann klar wird, sind wir schon so weit, dass wir den Mann als Menschen erkannt haben, widerwillig, zwangsläufig.

Trennbalken Filmfestival Cannes 2011

Dass die methodische Distanz und Sachlichkeit des Films seine grosse Stärke darstellt, wird erst klar, als es schon zu spät ist, wenn der Film fertig ist. Vorher haben wir alle metaphorischen Hände voll zu tun damit, uns gegen den Film zu wehren. Denn, so paradox das klingt: Er überlässt gar nichts dem Zufall, den expliziten Horror aber unausweichlich der Vorstellungskraft. Ein Beispiel: Michael geht zum Jungen in seine Kammer. Später wäscht er sich am Spülbecken in seinem Badezimmer den Penis. Was bei Hirokazu Kore-Eda 2009 in seinem Cannes-Film Kuki Ningo der diskreten Verdeutlichung der sexuellen Handlung eines Mannes mit einer aufblasbaren Puppe diente, die Waschung danach, so dass man nicht zu spekulieren brauchte und sich dem eigentlichen Thema des Films zuwenden konnte, hat hier den umgekehrten Effekt. Der Horror wird grösser.

Mit dieser indirekten Methode hat Haneke oft genug gearbeitet, immer im Vertrauen darauf, dass die Vorstellungskraft seiner Zuschauerinnen und Zuschauer grauslich genug sein dürfte, wenn man sie nur auswegslos genug in die richtige Richtung lenkt. Michael ist, bildlich genommen, ein diskreter Film. Nimmt man ihn aber beim Bild (analog zu „beim Wort“), dann ist alles da, unausweichlich, klar und unzweideutig. Ob das nun grosse Kunst ist, reine Methodik, oder gar einfach präzise Fleissarbeit, mag ich jetzt, knapp Dreiviertelstunden nach dem Film, nicht entscheiden. Erschütternd ist aber unzweifelhaft, wie der Film zu seinem Ende kommt, wie er einmal mehr nichts dem Zufall oder dem Zweifel oder der Mehrdeutigkeit überlässt, und dabei nicht mit Bildern aufhört, sondern mit einer Schwarzblende, die wie ein Schrei über den Saal kommt.

Bilderverbote (auch und vor allem religiöse) haben ihre Gründe. Und einer davon dürfte die Erkenntnis sein, dass keine Bilder manchmal stärker, schrecklicher und unauslöschlicher sind als jene, die wir im Alltag zu verdrängen gelernt haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auf Bilder verwiesen wird, gerade und auch im Kino. Und solches tut dieser Film auf jeden Fall meisterhaft. Er zwingt uns Bilder auf, die wir nicht wollen, aber längst haben.

Regisseur Markus Schleinzer
Regisseur Markus Schleinzer

 

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