Cannes 11: Palmarès

Kirsten Dunst als Justine in Lars von Triers 'Melancholia'
Kirsten Dunst als Justine in Lars von Triers ‚Melancholia‘ (Screenshot)

Für einmal hat am Filmfestival von Cannes derjenige Film die goldene Palme gewonnen, mit dem eigentlich alle gerechnet hatten. The Tree of Life des Amerikaners Terrence Malick erzählt anhand von überwältigenden Naturbildern und Szenen aus einem Familienleben vom Kampf zwischen darwinistischer Natur und göttlicher Gnade, in den Augen der Söhne verkörpert von Vater und Mutter. Bei seiner Premiere letzte Woche hat der Film die Kritiker gespalten. Als grossartiges Kunstwerk und überwältigendes Gebet haben ihn die einen erlebt, während andere, wie ich, von Bombast oder gar Kitsch geredet haben. Terrence Malick, der notorisch scheue Regisseur, der keine Interviews gibt und nicht öffentlich auftritt, ist der Preisverleihung denn auch dieses Mal ferngeblieben und hat damit seinen Ruf eines erleuchteten Eremiten des amerikanischen Kinos wohl noch weiter gefestigt.

Der andere grosse Abwesende des Abends war der Däne Lars von Trier, der vom Festival zur Strafe für seine konfusen Nazi-Bemerkungen letzte Woche zur Persona non Grata erklärt worden war. Kirsten Dunst, die Hauptdarstellerin seines Filmes Melancholia durfte allerdings trotzdem den Preis für die Beste Darstellerin entgegen nehmen, wie schon vor zwei Jahren Charlotte Gainsbourg für ihre Rolle in von Triers Antichrist, oder vor elf Jahren die isländische Sängerin Björk in von Triers Dancer in the Dark. Damit dürfte von Trier seinem momentan etwas ramponierten Ruf zum Trotz auch weiterhin keine Probleme haben, weibliche Stars für seine Projekte zu gewinnen.

Die restlichen Preise mit Direktlinks zu meinen Kurzbesprechungen nach dem Sprung:

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Cannes 11: BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA von Nuri Bilge Ceylan

BIR ZAMANLAR ANADOLU'DA par Nuri Bilge CEYLAN (1)

Es war einmal in Anatolien… das ist der Titel des Films. Aber es ist absolut kein Märchen, das Nuri Bilge Ceylan dieses Jahr erzählt, es sind zwei Geschichten, eingebettet in eine dritte. Die eine wird erzählt von einem anatolischen Staatsanwalt, der zusammen mit einem Amtsarzt, ein paar lokalen Polizisten, zwei Männern mit Schaufeln und ein paar Soldaten unterwegs ist im anatolischen Niemandsland, auf der Suche nach einer vergrabenen Leiche. Den mutmasslichen Mörder und seinen nicht ganz entwickelten Bruder haben sie auch dabei, aber die Suche zieht sich in die Länge, weil der vermutliche Mörder nicht mehr genau weiss unter welchem Baum, bei welchem Brunnen er sein Opfer vergraben hat.

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Cannes 11: Reflexe-Bilanzrunde live aus dem Palais

Heute um zehn Uhr treffe ich mich mit den deutschen Kolleginnen Anke Leweke und Katja Nicodemus zum live-Gespräch über diese 64. Festivalausgabe, im Studio 1 im 5. Stock des Palais des Festivals. Wir reden über Favoriten und Enttäuschungen und natürlich auch über den Zirkus rund um Lars von Trier und seine Verbannung vom Festival.

Freitag, 20. Mai, 10.00-10.30, auf DRS2; Zweitausstrahlung um 22.05 Uhr, DRS2)

Podcast download (13 MB MP3) oder hören:

Cannes 11: DRIVE von Nicolas Winding Refn

Ryan Gosling in 'Drive'
Ryan Gosling in 'Drive'

Der Däne Winding Refn wurde bekannt mit seiner Pusher-Trilogie, von ihm stammt auch das eigenwillig düstere Mads-Mikkelsen-Vehikel Valhalla Rising. Bei Drive war er jetzt allerdings Gun for Hire. Ryan Gosling, der die Hauptrolle spielt, hat ihn an Bord der Produktion geholt. Drive ist die Geschichte eines Einzelgängers, der in Los Angeles als Stunt-Driver für Filme arbeitet, in einer Garage als Mechaniker, und hin und wieder als Fluchtwagenfahrer für Einbrecher oder Räuber. Er ist schweigsam und hochprofessionell, arbeitet nie ein zweites Mal mit den gleichen Leuten und ist als Fahrer extrem kaltblütig und überlegt. Dass die Figur ein Echo von Steve McQueen mit sich bringt, ist natürlich nicht nur den Produzenten und Ryan Gosling aufgefallen, sondern auch Winding Refn, der den Film über weite Strecken mit betonter 70er-Jahre-Aesthetik versieht. Das gilt aber leider nicht für die absolut grauenvolle Rockpop-Gesangs-Musik von Cliff Martinez.

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Cannes 11: LA PIEL QUE HABITO von Pedro Almodóvar

LA PIEL QUE HABITO par Pedro ALMODÓVAR (1)

Zwanzig Jahre ist es her, seit Almodóvar mich mit Atame! verblüffte, einem trashigen, witzigen, erotischen und ziemlich grellen Filmchen, in dem Antonio Banderas einen erotomanischen Verrückten spielt, der seine Angebete anbindet, weil sie eine Weile brauchen dürfte, um sich in ihn zu verlieben. In jenen Tagen hatten seine Filme einen erotischen Unterton, der dauernd mitsummte. Jetzt spielt Antonio Banderas wieder einen Verrückten, der eine Frau gefangen hält. Aber dieses Mal ist das alles viel komplexer, absurder und – leider – steril.

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Cannes 11: ICHIMEI von Takashi Miike

ICHIMEI par Takashi MIIKE (1)

Takashi Miike wurde bei uns zuerst zum Horror-Geheimtip mit Audition. Der unglaublich produktive Japaner ist ein Spezialist für dichte Thriller und eigenwillige Action. Aber dieser Samurai-Film ist nun ein unerwartet ruhiges und zugleich ikonoklastisches Unternehmen. Einmal mehr geht es um „Ronin“, um herrenlose Samurai, die wohl eines des eigenartigsten Prekariate in der Menschheitsgeschichte darstellen: Edle Krieger, die mangels Anstellung und Lehensherr am Hungertuch nagen. In Ichimei (Hara-kiri, Death of a Samurai) kommt einer von ihnen auf einen Stützpunkt und bittet darum, im Hof rituellen Selbstmord begehen zu dürfen. Dort hält man das allerdings für einen Bluff, soll es doch viele verzweifelte arbeitslose Samurai geben, die auf diese Weise versuchen, ein Almosen zu erpressen. Entsprechend wird dem Mann zur Abschreckung die Geschichte eines bedeutend jüngeren Samurai erzählt, der einige Zeit früher mit dem gleichen Anliegen gekommen sei, zu seinem eigenen Entsetzen aber beim Wort genommen wurde und sich im Hof den Bauch aufschlitzen musste – mit einem Bambusschwert, wie sich herausstellte, ein anderes hatte er nicht.

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Cannes 11: MELANCHOLIA von Lars von Trier

MELANCHOLIA par Lars VON TRIER (2)

Für einmal hat Lars von Trier genau das nach Cannes gebracht, was er versprochen hat: Einen schönen Film über den Weltuntergang. Dass dieser durchaus metaphorische Züge hat, wird klar, wenn man weiss, dass der Planet, der die Erde rammen wird, Melancholia ist. Nach Triers eigenen Erfahrungen mit schweren Depressionen und nach Antichrist ist das damit der zweite Film, der sich in dieses Territorium stürzt. „Was habe ich da bloss gemacht, stöhnt Trier im Vorwort zum Presseheft, das in Cannes gestern verteilt wurde: „einen Frauenfilm, Schlagrahm auf Schlagrahm. Ich hoffe bloss, dass sich darin noch irgend ein Knochensplitter findet, an dem man sich den einen oder anderen Zahn ausbeissen kann…“ Nun, es sind nicht bloss Splitter, es sind ganze Skelette.

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Cannes 11: ‚The Fräulein and the Sandmann‘

SandmannFraeulein

Sehr hübsch, der englische Titel für Peter Luisis Der Sandmann. Wie richtig der Titel auch für Schweizer Ohren klingt, erschliesst sich natürlich erst, wenn man weiss, dass Hauptdarstellerin Irene Brügger im übrigen Leben unter dem Namen Frölein DaCapo als Einfrau-Orchester auftritt. Peter Luisis phantastische Tragikomödie wird hier in Cannes auf dem Markt von atrixfilms feilgehalten. Viel Glück!

Cannes 11: HANEZU NO TSUKI von Naomi Kawase

HANEZU NO TSUKI par Naomi KAWASE (1)

Für ihren Wettbewerbsbeitrag Der Wald des Abschieds hätte Naomi Kawase von mir schon 2007 die goldene Palme bekommen. Die ging dann an Cristian Mungiu, Kawase erhielt immerhin den Grossen Preis der Jury. Jetzt sind wir wieder so weit: Auch ihr jüngster Film ist für mich ein coup de coeur – und wieder wird sie es schwer haben. Nicht nur darum, weil das Festival ihren Film gleichzeitig programmiert hat wie Pater von Alain Cavalier (was fast schon wie vaterländische Sabotage aussieht, aber bestimmt einen anderen Grund hat). Sondern vor allem, weil Hanezu no tsuki im Prinzip das Gleiche versucht, wie Terrence Malick mit seinem Tree of Life. Eine poetische Annäherung an das menschliche Drama der Liebe seit Urbeginn der Welt. Aber wo Malick zu überwältigen sucht, singt Kawase ein leises Lied.

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Cannes 11: Reine Strandarbeit

Martini Beach 0

So sieht es an einem prächtigen Nachmittag vor dem Martini-Pavillion an der Beach Gray d’Albion aus, wo unsereins auf die Interviewpartner wartet, und nicht etwa am Martiniglas nippt. In dem Fall haben wir, etwa acht Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt, auf Julia Leigh gewartet. Was die Bilder nicht wiedergeben, ist der Euro-Disco-Trash, der über die Lautsprecher wummert. Und die Hektik der TV-Kollegen, die ihr Setup wegen des Winds und der Sonne und dem Kranschiff in der Bucht dreimal neu aufbauen müssen – Dreiviertelstunden bevor Frau Leigh überhaupt eintrifft. Aber ich, ich will nicht klagen. Ich genoss ein wenig Sonne und schaute den anderen bei der Arbeit zu. Mehr Bilder nach dem Sprung. Und ja: Das Leben ist so in Cannes. Sonnenschein, schöne freundliche Menschen, alles friedlich, keine Hektik und sehr sehr günstige Hotelzimmer.

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