Diagonale 15: SUPERWELT von Karl Markovics

Ulrike Beimpold © Thimfilm Petro Domenigg
Ulrike Beimpold © Thimfilm Petro Domenigg

Gott ist eine Art Wahnsinn. Eine Heimsuchung. Jedenfalls der Gott, der in das eben so geordnete wie langweilige Leben der Supermarktkassiererin Gabi Kovanda einfällt, als Stimme in ihrem Kopf.

Zunächst ist er allerdings eher eine Art Poltergeist, der die Waschmaschine zum Schütteln bringt und Gabi schliesslich dazu, sich mit ihrem ganzen, nicht unbeträchtlichen Gewicht darauf zu setzen.

Gabi Kovanda (Ulrike Beimpold) erleuchtet in 'Superwelt' © Thimfilm Petro Domenigg
Gabi Kovanda (Ulrike Beimpold) erleuchtet in ‚Superwelt‘ © Thimfilm Petro Domenigg

Aber auch das wissen wir nicht. Eigentlich wissen wir erst, dass es sich bei der Stimme in Gabis Kopf um Gott handelt, als sie ihn kurz vor der neunzigsten Minute des Films zu verfluchen beginnt. Und es wird dann noch eine halbe Stunde dauern, bis sie so etwas wie Frieden findet. Zuvor begann die Verfolgung Gabis durch Gott sehr subtil. Sie blickte sich öfter mal um. Aber schliesslich ist er ihr im Ohr, stellt Fragen und Forderungen und gibt offenbar auch Anwort, etwa auf Gabis Frage: „Warum gerade ich?“.

Allerdings ist die Antwort nur für Gabi. Und auch sie scheint nicht ganz befriedigt von ihr.

Rainer Wöss und Ulrike Beimpold in 'Superwelt' © Thimfilm Petro Domenigg
Rainer Wöss und Ulrike Beimpold in ‚Superwelt‘ © Thimfilm Petro Domenigg

Superwelt ist der zweite Film des Schauspielers Karl Markovics, nachdem er 2011 mit Atmen ein grossartiges Spielfilmdebut gegeben hat. Atmen war ein Jugenddrama, die Suche eines jungen Straftäters nach seiner Mutter, und einer jener Filme, die alles richtig machen.

Das geht nicht so einfach ein zweites Mal. Kunst strebt nach dem Risiko, und der Wille zur Kunst hat Markovics dazu gebracht, einen Teil seiner Zurückhaltung, die Atmen auszeichnete, aufzugeben. Er will erzählen, aber er will auch Bilder. Und die Bilder, die sind dieses Mal bewusst grösser als die Figuren. Das mag ihre Kleinheit vor Gott betonen, wird aber zum Problem, wenn dieser Gott eine ironische Grösse bleibt.

Ulrike Beimpold in 'Superwelt' © Thimfilm Petro Domenigg
Ulrike Beimpold in ‚Superwelt‘ © Thimfilm Petro Domenigg

Warum soll Gott Gabi dazu bringen, heissen Tee in eine Tasse zu giessen, die längst schon überfliesst? Der Einfall ist stark, denn Gabi ist da schon wieder woanders, in ihrem Kopf, nicht richtig präsent in ihrer Küche. Und weder sie noch wir als Zuschauer können Gott die Schuld geben an dem Malheur. Schon gar nicht, wenn sie es später im Film mit Absicht wiederholt. Auf dieser Ebene ist Superwelt mehr als gelungen, gar einzigartig.

Überhaupt ist das nicht nur ein klug und fein gemachter Film, sondern auch ein grosser Sack voller Einfälle und Anlehnungen. Wenn die Strassenarbeiter den Kopf zurücklegen und über die kreisenden Möven staunen, die es doch sonst da gar nicht gibt, wenn der Sohn bei der Nachtübung im gelben Feld steht, unwirklich angestrahlt vom Beleuchtungsfeuerwerk wie ein verlorener G.I. in Apocalypse Now, dann jubelt das Kinoherz zu Recht.

Rainer Wöss und Ulrike Beimpold in 'Superwelt' © Thimfilm Petro Domenigg
Rainer Wöss und Ulrike Beimpold in ‚Superwelt‘ © Thimfilm Petro Domenigg

Aber es sind dann doch die Bilder, die Markovics zu gross geraten. Schon am Anfang, als die Frau ihre Kasse im Supermarkt schliesst, auf den Parkplatz hinausgeht, in ihr Auto steigt und nach Hause fährt. Da geht die Kamera hoch, hoch in den Himmel. Wir sehen den Supermarkt und den Parkplatz von weit oben, aus göttlicher Perspektive, wie eine Modelleisenbahn. Und die Kamera mit dem Helikopter folgt Gabis Auto aus grosser Höhe und Entfernung und macht sie klein.

Viel später wird Gabi über die Wiese gehen, einem Hügelzug entlang, eine kleine Figur in einer grossen Landschaft auf breiter Leinwand. Und in der linken Bildhälfte wird ein Zug durch die Landschaft fahren, wie es eben so vorkommt. Aber so eine Einstellung passiert nicht so einfach, die muss man wollen, da muss das Timing stimmen. Es sei denn, der Zug sei meuchlings gekommen und habe es zufällig in den Film geschafft. Aber Markovics lässt keinen Zweifel daran, dass er seinen Film gestaltet, nicht der Zufall.

Thuja als brennender Dornbusch in 'Superwelt' © Thimfilm Petro Domenigg
Thuja als brennender Dornbusch in ‚Superwelt‘ © Thimfilm Petro Domenigg

Wenn die Thuja-Hecke zum brennenden Dornbusch wird, Gabis Spaziergang zum Ausflug nach Golgatha, eine Tasse Tee im Bauwagen zum letzten Abendmahl, dann ist die Ironie greifbar, dann schiebt sich Markovics als Erzähler zwischen die heimgesuchte Gabi und diesen aufdringlichen Gott. Wenn der Sohn, in Uniform als Korporal, vor seinen Soldaten die Mutter verleugnet, die zuvor dem Transporter nachgewinkt hat, dann braucht kein Hahn zu krähen, um die neutestamentarische Parallele zu fixieren.

Aber mit solchen Inszenierungen bringt sich der Filmemacher als Gestalter eben so in Erinnerung wie mit den ausgeklügelten Bildern, der toten Taube neben dem Glockenseil. Und die Inszenierung dieser Bilder schafft jene ironische Distanz zu den Figuren, welche der Film ansonsten vermeidet. Markovics, der Regisseur, mag Gabi, er verrät sie nie, gibt sie nie preis. Er lässt der Figur ihre Würde noch im seltsamsten Augenblick. Aber die Diskrepanz zwischen der ironischen (und manchmal vielleicht auch unironischen) Grösse der Bilder und der Kleinheit der Figuren führt zu einem Bruch.

Vielleicht ist das ein österreichisches Dilemma, vielleicht auch eines, dem der Schauspieler Markovics als Regisseur nicht entgehen konnte: Man kann nicht den ungerührt inszenierten Blick von Seidl oder Haneke suchen und sein Herz für seine Figuren bluten lassen. Jedenfalls nicht gleichzeitig.

Karl Markovics © Till Broenner
Karl Markovics © Till Broenner

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