Franz Rogowski ist tatsächlich der Shooting Star der diesjährigen Berlinale. Er trägt nicht nur Christian Petzolds Transit souverän und zurückhaltend, er gibt auch dem neuen Film von Thomas Stuber eine fragile Mitte.
Von der Anlage her erinnert In den Gängen an die Texte und Filme des verstorbenen Harun Farocki. Der Film spielt in den Gängen eines Warenlager-Direktverkauf-Grossmarktes im Osten Deutschlands.Wie die früheren Arbeiten von Stuber geht auch In den Gängen auf eine Geschichte von Clemens Meyer zurück, das Drehbuch haben Meyer und Stuber gemeinsam verfasst und damit den deutschen Drehbuchpreis 2015 gewonnen.
Christian hat seinen ersten Tag, sein Chef übergibt ihm Büro einen blauen Arbeitskittel, drei Kugelschreiber und einen Cutter («Grundausstattung»). Er weist ihn freundlich an, die Ärmel stets weit über seine auffälligen Tätowierungen hinunterzuziehen («Kommt bei der Kundschaft nicht gut an»), und führt ihn zu Bruno, dem Chef der Getränkeabteilung.
Der nimmt den Neuling grummelig unter die Fittiche, erklärt erst einmal, er brauche keine Hilfe. Aber schon nach ein paar Minuten ist Bruno der väterlich-fürsorgliche Ausbilder und Christian der willige, fleissige und ungemein maulfaule Azubi.
In den Gängen packt einen schnell mit seinen realistischen Einblicken in diese Arbeitswelt. Die Gabelstapler zwischen den hohen Gestellen, das eingespielte, freundliche, territoriale Verhältnis zwischen den langjährigen Angestellten in den verschiedenen Abteilungen und schliesslich die spöttisch-spielerische Marion von der Süsswarenabteilung (Sandra Hüller) lassen bald das Gefühl einer eingespielten Arbeitsgemeinschaft aufkommen.
Gleichzeitig holt Stuber das Maximum aus dem riesigen Lagerkomplex heraus. Die Fahrten mit den Gabelstaplern, ihren kleinen elektrischen Zudienern, den «Ameisen» und schliesslich den handbetriebenen Palettenkarren werden immer wieder zu einem zurückhaltenden mechanischen Ballett in den schluchtartigen Gängen.
Rauh, aber herzlich wäre das Klischee – faktisch findet das nie so statt, der Umgang der Angestellten miteinander hat eher etwas stammesähnliches, erinnert manchmal an das Dorf von Asterix mit seinen diversen Gestalten.
Und als sich Christian zwangsläufig in Marion verliebt, wird er diskret darauf verwiesen, dass sie verheiratet sei, wenn auch nicht sehr glücklich – und man wird das Gefühl nicht los, alle wachen ein bisschen über den «Neuen». Und über die Marion.
Kamera und Schnitt (vom Schweizer Cutting-Star Kaya Inan) nutzen wie die die ganze Inszenierung die vertikalen und horizontalen Linien, welche die Hochgestelle vorgeben. Vor und zurück, rein und raus.
Das fängt schon bei der hinreissenden Eröffnungssequenz an, die, musikalisch mit dem gleichen Strauss-Waltzer unterlegt wie Stanley Kubricks Weltraum-Ballett in 2001 A Space Odyssey, das Erwachen des Lagers zelebriert, die Lichterreihen, welche angehen, die ersten Stapler, die losfahren.
Horizontale Bewegungen bilden die Standarddynamik im Kino, je breiter die Leinwand, desto häufiger bewegt sich etwas durchs Bild oder im Bild, oder die Kamera schwenkt oder fährt an den Dingen oder der Landschaft vorbei. Die Vertikale dagegen wird vom gewohnten Bildformat nicht eben unterstützt. Darum wohl auch die Wahl eines nicht sehr gebräuchlichen, eher schmalen Bildformates. Wie es Stuber und seinem Kameramann Peter Matjasko aber gelingt, den hohen Raum und die schier endlose Höhenstreckung der Regalstapler zu integrieren, das nötigt Bewunderung ab.
Die gleichen horizontalen und vertikalen Bewegungen spiegeln sich in den Figuren und ihren verhaltenen Dramen. Von Christian nehmen wir bald einmal an, dass er eine Neonazi-Vergangenheit hat, jedenfalls jenseits der akzeptierten Gesellschaft, und dass seine hier fleissig und eifrig angestrebte Integration in die halbwegs geordnete Welt und Gesellschaft des Lagers für ihn die grosse Chance sein dürfte. Das wird dann auch bestätigt, als sich zeigt, wie fragil seine neue Sicherheit ist, wie nah das Chaos noch bei ihm lebt.
In den Gängen ist beides: Ein streng komponierter, konstruierter Film, und ein leichtes, ungemein menschliches Spiel mit den Toleranzen, Rücksichtnahmen und Hoffnungen.
Dass man trotz der nahtlos integrierten, alltäglichen Dramen am Ende beschwingt und ermutigt aus dem Kino geht, hat mit der gleichen Kombination von Strenge und Gutmütigkeit zu tun, die Bruno ausstrahlt und der ganze Film.