SFT19: SOHN MEINES VATERS von Jeshua Dreyfus

Schalom Schabat am 60. Geburtstag von Karl (Dani Levy) in ‚Sohn meines Vaters‘ © Vinca Film

Die Welt ist nicht so, wie sie die Eltern geschildert haben. Die Eltern wissen das schon lange. Darum behalten sie die Deutungsmacht.

Da kann der Sohn mit der Geliebten des Vaters ins Bett, so lange er will: Die Erklärung dafür bekommt er vom Papa weiterhin präsentiert wie eine Rechnung.

Dimitri Stapfer als Simon. Im Hintergrund Katja Kolm, Dani Levy und Sibylle Canonica © Vinca Film

Als der junge Grafiker Simon (Dimitri Stapfer) am Schabat zum sechzigsten Geburtstag seines Vaters zum ersten Mal seine Freundin mitbringt, merkt er bald, dass seine Eltern weiterhin mit sich selber beschäftigt sind.

Mutter Agnes (Sibylle Canonica) ist angespannt und wütend, Vater Karl (Dani Levy), der erfolgreiche Psychiater und Lebenserklärer, hat ohne falsche Scham auch seine Praxishilfe und Geliebte Sonja (Katja Kolm) zum Fest eingeladen.

Dani Levy, Sibylle Canonica, Dimitri Stapfer © Vinca Film

Ein paar Tage später drängt die Mama den Sohn, die Transkription des neuen Buches seines Vaters zu übernehmen. Damit sie mit ihrem Mann in den Urlaub fahren kann – weg von dieser Sonja. Es ist die klassische emotionale Erpressung, Simon kommt zurück ins das «Irrenhaus», das er eigentlich hinter sich lassen wollte.

Und dann reibt er sich so lange mit der Geliebten des Vaters, bis da die Funken fliegen – allen väterlichen und mütterlichen Interventionen per Telefon zum Trotz.

Showdown: Katja Kolm, Dani Levy, Dimitri Stapfer © Vinca Film

Jeshua Dreyfus hat sich viel vorgenommen nach seinem verblüffenden, erfreulichen Low-Budget-Debut mit Halb so wild vor sechs Jahren. Sohn meines Vaters ist eine ausgefeilte Familien-Dramödie, eine Sitcom im Bewegungswirbel, eine Screwball-Comedy mit Höllensturz.

Was die Schilderung der jungen Menschen in Halb so wild auszeichnete, war eine radikale Ehrlichkeit. Das war ein Film, der durchaus auch Witz bewies, aber ganz ohne postmoderne Ironie auskam. Diese tastenden Wahlverwandtschaften im Wald waren ernsthafte Versuche.

Sohn meines Vaters ist so gesehen das pure Gegenteil. Oder die Versetzung einer der damaligen Figuren in unsere Gegenwart, in der die Autoritäten von gestern ihren Nimbus verloren haben, ihre hochgehaltenen Ideale längst verraten.

Was geblieben ist, ist die radikale Ehrlichkeit. Eine Konsequenz, die dürrenmattsche Dimensionen annimmt, die Geschichte so zu Ende denkt, dass sie ihre schlimmstmögliche Wendung nehmen muss. Bloss ist diese Wendung dann auch noch eine gelungene, zynische Überraschung.

Jeshua Dreyfus hat die Hürde zum Zweitling gut gemeistert. Der Film hat Zug, tragikomische Energie am Anfang, gekonnte Überzeichnungen durchs Band.

Sibylle Canonica, Dimitri Stapfer © Vinca Film

Dani Levy ist die überraschend ideale Besetzung für diesen dauerlächelnden, alles überschauenden, charismatischen Kotzbrocken von einem Vater. Der Mann, der noch für die nahe liegendste Reaktion seiner Umwelt auf seinen Egoismus eine einleuchtende Analyse zu liefern vermag, die ihn selber entlastet.

Was Sohn meines Vaters von seinen grossen Vorgängern und allfälligen Vorbildern zwischen Lubitsch und Wilder unterscheidet, sind die kleinen Unebenheiten. Dreyfus hat noch nicht die Souveränität, um den Balance-Akt zwischen Tragödie und Komödie immer zu meistern.

Das zeigt sich in den grossen Zügen, dem Gefälle zwischen purem Drama und reiner Karikatur. Und es zeigt sich in der Binnendynamik zwischen den Schauspielerinnen und Schauspielern und ihrem Text. Da gibt es Sätze, die klingen nach Drehbuch, neben Momenten, welche einen direkt anspringen. Manchmal in der gleichen Szene. Etwa in jener, in welcher der Sohn seinem Vater am Pult in dessen Praxis etwas fragt und man das Gefühl hat, Dimitri Stapfer sagt den Satz aus dem Drehbuch einfach auf – während Dani Levy in der Rolle des Vaters absolut beiläufig über die linke Schulter antwortet, während er gleichzeitig den Schrank mit den Patientenakten abschliesst.

Das kontrastiert mit anderen Szenen, in denen Simons Naivität und Herzensgüte in aller Perfektion in jedem Gesichtszucken und jedem Wort zu spüren ist.

Manchmal werden Bilder zu stark ausgespielt. Etwa, wenn Simon sich beim zweiten Stelldichein mit der Geliebten seines Vaters an deren Brust festsaugt wie ein Baby bei der Mutter, nicht einmal, sondern zweimal, und damit das Erklärmuster seines Vaters vorwegnimmt.

Sohn meines Vaters ist als filmische Rube-Goldberg-Maschine noch nicht ganz so souverän und zwingend, wie die Tragikomödie sein müsste, um nie ins Stocken zu geraten und die wenigen eigenen Ungereimtheiten zu überspielen. Aber als Entwicklungsschritt vom Low-Budget-Anfang zur – für Schweizer Verhältnisse – grossen Kiste nicht nur sehr respektabel, sondern vor allem auch sehr unterhaltsam. Und bitter.

Denn am Ende sind wir wieder in dieser Welt, die sich den Schilderungen der Eltern anpasst, in einer Möbius-Schleife, aus der es kein Entrinnen gibt. Weil die Ideale und die Kompromisse nie miteinander zu versöhnen sind. Die einen richten sich damit ein. Die anderen richten sie damit zugrunde.

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