Franz Biberkopf heisst jetzt Francis B und kommt aus Bissau. Die ersten Einstellungen des Films zeigen Francis und seine Ida als ertrinkende Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.
Das Bild irritiert, denn es steht kopfüber auf der Leinwand, auftauchen wäre abtauchen, und das schafft schliesslich nur Francis.
Viel später im Film, als Francis, bzw. Franz wieder ganz unten angekommen ist, sehen wir auch, was tatsächlich passiert ist, in seiner Erinnerung: Er hat sich vom Klammergriff der ertrinkenden Ida befreit und selber gerettet.
Auch in Döblins Roman hat Franz die Ida auf dem Gewissen. Er hat sie aus Eifersucht erschlagen und ist dafür vier Jahre in der Strafanstalt Tegel gelandet.
Es braucht schon ein gutes Selbstbewusstsein, um nach all den Theaterinszenierungen, Verfilmungen und insbesondere nach Fassbinders Fernsehserie von 1980 «Berlin Alexanderplatz» wieder auf die Leinwand zu bringen. Oder eine neue Perspektive.
Die hat Burhan Qurbani, Sohn eines Flüchtlingspaars aus Afghanistan, tatsächlich. Zumal er im Jahr von Fassbinders Serie, 1980, in Deutschland zur Welt kam.
Auf den Dreh, aus dem chancenlosen Arbeiter Franz den chancenlosen Sans-papier Francis zu machen, folgt eine ganze Reihe von Anpassungen. Die Szenerie ist gegenwärtig, Francis lebt im Flüchtlingsheim, bis ihn Drogenhändler Reinhold dazu verführt, erneut ein schlechter Mensch zu werden.
Aus den neun Büchern des Romans destilliert dieser Film fünf Kapitel, einen Prolog und einen Epilog. Dadurch wird aber auch fast alles andere vereinfacht und vereindeutigt. Es gibt wenig zu rätseln, Reinhold ist ein Psychopath, der alles mit sich in den Abgrund reissen will, Francis will gut sein, aber auch stark und respektiert.
Vieles ist fast Rap-mässig auf klare Kontraste angelegt, was den nicht unerheblichen Nachteil hat, dass die Figur Francis/Franz von schwankender Intelligenz geprägt erscheint. Mal ist er instinktsicher und aufmerksam, etwa Reinholds Gangsterboss Pums gegenüber, dann wieder hoffnungslos verwirrt und verführbar, wie Döblins Franz im Rausch von Berlin Babylon.
Das ist ein dreistündiger Brocken von einem Film, wuchtig und bisweilen beeindruckend. Aber die endlosen Diskussionen rund um die Inszenierung sind absehbar. Neben den Hütern des kulturellen Grals, die sich über jede Verletzung des Kanons ärgern, ist vor allem der Streit über die Darstellung der afrikanischen und arabischen Dealer und Flüchtlinge bis hin zu Francis absehbar: Wo entlarvt die dramatische Anlage den alltäglichen Rassismus, wo zementiert sie ihn?
Dabei könnte auch ein schlechter Film dem Roman nichts anhaben, dessen wuchernde Artifizialität lebt aus sich selber und aus ihrer Zeit heraus noch lange weiter. Und Berlin Alexanderplatz von Burhan Qurbani ist ein ziemlich guter Film, mit ein paar weniger guten Momenten, wie etwa seinem seltsam hoffnungstreibenden Schluss.
Welket Bungué als Francis hat eine durchgehend eindrückliche Präsenz, Jella Haases Mieze ist insbesondere im Hinblick auf den Gegenwartstransfer die gelungenste Figur. Und Albrecht Schuch ist als Reinhold dermassen psychopathisch, dass man ihn gleich für mehrere Tatorte oder einen James Bond buchen könnte – auch wenn die Figur dadurch die eindimensionalste des Films geworden ist: Er ist die Kraft, die stets das Schlechte will und auch das Schlechte schafft. Und das gründlich.