THE SAINT OF THE IMPOSSIBLE von Marc Wilkins

Magaly Solier Romero, Adriano & Marcelo Durand © Dschoint Ventschr

Die sechzehnjährigen Zwillingsbrüder Paul und Tito leben als illegale Immigranten aus Peru in New York mit ihrer Mutter Raffaella. Die Teenager wissen um Raffaellas Attraktivität:

«Sie hatte uns sehr jung. Wenn sie nicht unsere Mutter wäre, könnten wir uns in sie verlieben».

So wie die Dinge stehen, arbeitet Raffaella tagsüber als Servierfrau, an den Abenden und Nächten macht sie Männern Hoffnung. Damit bringt sie sich und ihre Söhne in einem kleinen Appartement in der Bronx knapp durch.

Adriano Durand, Marcelo Durand © Dschoint Ventschr Filmproduktion AG

Bis Ewald, ein moderat erfolgreicher Schweizer Groschenromanautor, die verspielte Hoffnung ganz praktisch in den amerikanischen Traum verwandeln möchte und Raffaella dazu bringt, mit ihm in der Wohnung einen Burrito-Lieferservice aufzuziehen.

Paul und Tito machen sich derweil selber Hoffnungen. Sie sind angezogen von Kristin aus Kroatien, die ihnen im Englischkurs aufgefallen ist.

Von Kristin möchten sie wahrgenommen werden, in dieser Stadt der Unsichtbaren. Traum und Alptraum gehen Hand in Hand in diesem faszinierenden Film.

Tara Thaller als Kristin © Dschoint Ventschr Filmproduktion AG

Die Geschichte stammt vom niederländischen Autor Arnon Grunberg und ist schon 1997 herausgekommen. Fünfzehn Jahre später traf sich der in einer griechischen Kommune und in Deutschland aufgewachsene Schweizer Marc Wilkins mit dem Holländer in New York, weil er das Buch in ein Filmprojekt überführen wollte.

Der Zürcher Dschoint Ventschr Produzent Joël Jent (Iraqi Odyssey), Scriptwriter Lani-Rain Feltham aus Neuseeland und Kameramann Burak Turan aus der Türkei brachten ihre praktische Erfahrung und ihre beträchtlichen Talente in der Projekt mit ein. Und so wurde aus dem heiligen Antonius des ursprünglichen Buchtitels schliesslich tatsächlich The Saint of the Impossible.

Es ist schon verblüffend, einen derart internationalen Film ausgerechnet im Rahmen der Solothurner Filmtage zu entdecken. Was Jent und Wilkins da zusammengetragen haben, ist tatsächlich Weltkino. Zeitgenössisch, eindringlich und oft überraschend lyrisch im Horror des Immigranten-Alltags.

Magaly Solier aus Peru, bekannt geworden mit dem Berlinale Film La teta asustada und die peruanischen Zwillingsbrüder Adriano und Marcello Durand bilden die fragile und doch unzerstörbare familiäre Einheit im Moloch.

‚The Saint of the Impossible‘ © Dschoint Ventschr Filmproduktion AG

Die Jungs jagen durch ihre harten Tage als Veloauslieferer für Chinese Take-Away, sie ertragen die Verehrer ihrer Mutter, sie leiden unter ihrer immer wieder beklagten Unsichtbarkeit. Aber sie sind Teenager, abenteuerlustig, neugierig, voller Sehnsucht nach Erotik, Verliebtheit, Zuneigung.

Die meinen sie zu finden in der eben so taffen wie attraktiven Kroatin Kristin, die ihrerseits in den unsäglichen Härten des Lebens mit den beiden jungen Peruanern Momente der Leichtigkeit findet.

Während Tito und Paul sich danach sehnen, überhaupt gesehen und wahrgenommen zu werden, der Unsichtbarkeit der illegalen Immigranten, der «Dreamers», zu entkommen, hat Kristin das umgekehrte Problem. Ihre auffällige Schönheit führt zu anderen Problemen, mit Männern, die wiederum nicht die geringste Neigung zeigen, hinter ihrer Erscheinung mehr als ihre eigene Projektion wahrzunehmen.

«Meine Zukunft kommt noch», meint Kristin. «Und wenn ich ein Tier sein könnte, wäre ich ein Tintenfisch oder ein Lama. Etwas, das spucken kann.»

Wilkins findet immer wieder stimmige Bilder für den poetischen Lichtschein, der die Grausamkeiten von Grunbergs Geschichte punktuell erhellt.

Wenn Raffaella in einer Konfrontation mit Kristin von ihren Söhnen sagt, die hätten doch bloss Liebe gesucht, meint diese: «Die müssen keine Liebe finden. Sie sind voll davon».

Wenn der naiv optimistisch gönnerhafte Schweizer Ewald (Simon Käser) den Jungs gegenüber meint, er verstehe nicht, warum ihre Mutter im Badezimmer angesichts von ein paar Maden im dort aufbewahrten Burrito-Fleisch einen Zusammenbruch erleidet, erklärt Tito wütend: «Du Idiot. Wir sind in einem Fleischtransporter über die Grenze gekommen.»

Abschiebung mit Hintergrund ‚The Saint of the Impossible‘ © Dschoint Ventschr Filmproduktion AG

Dass die Geschichte dreiundzwanzig Jahre alt ist, der Film aber in Trumps New York vor der Pandemie spielt, und sich nichts, aber auch gar nichts geändert hat in der ganzen Zeit. Das ist die niederschmetternde Erkenntnis von The Saint oft he Impossible.

Während Raffaella, Kristin, Tito und Paul mit Hartnäckigkeit ihre Hoffnungen und Wünsche dem Horror des Alltags entgegenwerfen und sie sich so gegenseitig zumindest punktuell erfüllen können – wie in der schönsten Sequenz des Filmes, in der Kristin den Jungs in einem kakerlakenverseuchten Motelzimmer mit einer businessmässig verbrämten Aktion zu verstehen gibt, dass sie den Satz, den sie später der Mutter gegenüber fallen lassen wird, durchaus ernst meint: «Die müssen keine Liebe finden. Sie sind voll davon».

The Saint of the Impossible ist ein filmisches Erlebnis. Es kommt nicht oft vor, dass das Kino seine Fähigkeit, zu träumen so konsequent mitten in der hässlichsten Wahrheit unter Beweis stellt.

            • Mit etwas Glück noch zu sehen bis morgen Samstag Abend auf der Plattform der Solothurner Filmtage
            • Noch kein Schweizer Kinotermin
            • Weltvertrieb: Bendita Films

 

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