Mit dem Titel Medea braucht ein Film keine Synopsis. Und vor sogenannten Spoilern muss man auch niemanden warnen.
Bis die Titelfigur bei Alexander Zeldovich allerdings in Israel ihr Schicksal und damit das ihrer beiden Kinder erfüllt, entfaltet sich eine eben so zeitlose wie ausgesprochen zeitgenössische Variation der Tragödie.
Die junge Frau, deren Beichte an einen leeren Beichtstuhl wir in den ersten Minuten des Films mithören, erzählt da ausführlich die Vorgeschichte. Wie sie in Moskau Chemie studiert hat, den jungen, sehr reichen und verheirateten Alexei kennengelernt und sich dann jahrelang in einem abgelegenen, von ihm für sie und die beiden gemeinsamen Kinder gekauften Haus darüber freute, wenn er wenigsten hin und wieder zu Besuch kam.
Bis Alexei ihr eröffnet, dass er sich von seiner Frau trenne, weil die endgültig verrückt geworden sei, dass er nun nach Israel auswandere und sie und die Kinder mitnehme.
Am Tag vor der Abreise ergeben sich allerdings Umstände, die das erhoffte neue Glück der kleinen Familie gefährden. Um das zu verhindern, greift die Frau zu einem drastischen Mittel.
Das Setting zwischen Russland und Israel, konkret Jerusalem, mit Oligarchen, israelischen Soldaten, Religion, Mythologie, Kunst und immer wieder Sex bis zur Bewusstlosigkeit löst Medea von der klassischen Tragödie.
Wenn Alexei sich von ihr abwendet, als er von ihrer Tat erfährt, die sie doch ihm und sich zuliebe auf sich genommen hat, beschuldigt er sie, ihn zum Komplizen in einem Verbrechen gemacht zu haben. Sie dagegen schleudert ihm entgegen, dass er doch seine ganzen Millionen dem Verbrechen verdanke. Was Alexei entsetzt zurückweist.
Jede Handlung hat Konsequenzen, jede Angst wird sich erfüllen, und alles, was sich die Menschen zurechtlegen, um dem entgegenzuwirken, ist letztlich unwirksam.
Zeldovich erzählt davon mit starken, überraschenden Einstellungen und Kombinationen. Kunst, Mode, Schuld und Religion, Glaube, Wertvorstellungen und deren Relativierung durch Reichtum ergeben ein eigentliches Panoptikum in diesem Film.
Dass die Frau beim Sex auf dem Höhepunkt in Ohnmacht fällt, für einen Moment stirbt, wird dabei immer wieder in neuen Varianten symbolträchtig aufgeladen.
Der Film lässt dabei allerdings keinen Raum für Distanzierung. Selbst dort, wo kurze, scharfe Momente der Komik ganz gezielt eingesetzt sind, schärfen sie bloss den Kontrast. Keine Spur von Comic Relief.
Diese Medea bietet Stoff für stundenlange Diskussionen und dies nicht nur im Hinblick auf die Idee der liebesrasenden Frau. Ins periphere Blickfeld gerät da so viel, vom orthodoxen Glauben über motivierten Terrorismus bis zum Konsum als Religionsersatz.
Das fährt ein, wegen der ungemein starken Inszenierung, der Kamera mit Auf- und Durchsichten, der Tonspur, die mit der drohenden, dräuenden Musik verschmilzt.