SHOWING UP von Kelly Reichardt

Michelle Williams als Künstlerin Lizzie in ‚Showing up‘ von Kelly Reichardt © Allyson Riggs/Courtesy of A24

In einem Cannes-Wettbewerb der mit den grossen Dramen kleiner Menschen nicht gerade geizt, ist Kelly Reichardts Showing Up ein Paradiesvogel. Ein ganz alltäglicher, wie die Taube, welche Lizzies Katze mitten in der Nacht im Badezimmer zu rupfen beginnt.

Lizzie (Michelle Williams) ist Künstlerin. Sie macht kleine, expressive Keramikfiguren und sie arbeitet im Büro einer Kunstschule. Wenn sie Stress hat, oder schlechte Laune, was ziemlich oft vorkommt, lässt sie das an ihrer eher stoischen Nachbarin, Freundin, Vermieterin und Kunstkonkurrentin Jo (Hong Chau) aus. Vorzugsweise mit Gemecker, weil sie seit Wochen kein Heisswasser mehr zum Duschen hat.

Jo bietet ihr an, bei ihr drüben zu duschen, bis sie dazu kommt, den Durchlauferhitzer zu ersetzen. Aber darum geht’s ja nicht.

«Stirb woanders!» ruft sie der angerupften Taube nach, die sie eben mitten in der Nacht vor ihrer Katze gerettet und auf dem Besen zum Fenster hinaus bugsiert hat.

«Oh, I am bad», seufzt sie dann, und geht erschöpft zurück ins Bett. Nicht ohne die Katze auch noch verbal in den Senkel zu stellen.

Am nächsten Tag kommt ihr draussen Jo mit der zerzausten Taube entgegen: «Eine Katze muss das arme Tier erwischt haben». Und spannt Lizzie gleich ein, beim Verbinden und aufpäppeln des Vogels mit zu helfen.

Die Taube ist der wortwörtlich flügellahme Running Gag in diesem leisen, gedämpften Film.

Weitere Alltagsspannungen verursachen diverse Ausstellungen, welche alle gleich aufgehen sollen, der charmante Vater (Judd Hirsch) von Lizzie, der so nett ist, dass er ein kanadisches Freeloader-Ehepaar, das er kaum kennt, bei sich wohnen lässt, Lizzies psychisch angeschlagener Bruder Sean und die vom Vater getrennte Mutter, welche den Vater gerne auch vor Galeriengästen runtermacht.

Hat Kelly Reichardt mit First Cow den Western um seine Machostereotypen gebracht, nimmt sie dieses Mal den grossangelegten Familienfilm aus seinen überkommenen Strukturen heraus, reduziert die von Hollywood zu liebenswerten Stereotypen eingekochten Figuren auf ein alltägliches menschliches Mass – und schafft damit wieder einen Film, der sich unendlich viel bescheidener gibt, als er wirklich ist.

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