Nyon 09: Pizza in Auschwitz

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Dokumentarfilme rund um den Holocaust haben meist ihren getragenen Ton und ihr ganz spezielles, unangreifbares Pathos. Pizza in Auschwitz von Moshe Zimerman ist anders. Der weit über 70jährige Danny aus Israel gehört zur zweiten Sorte dewr Holocaust-Überlebenden, zumindest nach der Einteilung der zweiten Generation, der auch seine Tochter und sein Sohn angehören. Die eine Sorte redet nie über die schreckliche Vergangenheit, die zweite hört nie mehr auf damit. Danny hat seine Kinder mit dem Holocaust aufgezogen, Birkenau und Auschwitz gehörten zu ihren Gute-Nacht-Geschichten. Jetzt erfüllt er sich einen Lebenstraum und reist mit seinen beiden Kindern und einem Filmteam zurück nach Polen, in die Vergangenheit, an die Orte seiner Kindheit, ins Ghetto, und schliesslich von Lager zu Lager.

Die erwachsene Tochter, längst selber Mutter, wehrt sich zwar nach Kräften gegen die „Holocaust-Nostalgie“ des Vaters, aber sie geht mit. Eben so der tiefgläubige Sohn, der sich kaum je äussert. Der Vater und die Tochter sind es, welche die Generationkonflikte um das Holocaust-Thema austragen. Und der Lager-Tourismus des Vaters bekommt im Verlauf des Filmes ganz eigene Züge. Das fängt harmlis an, wenn eine Servierfrau im Restaurant fragt, ob er sein Mineralwasser mit Gas oder ohne wolle, spitzt sich aber dramatisch zu, als sich eine der Frauen der Ausschwitz-Gedenkstättenverwaltung ärgert, weil sie ungefragt gefilmt wird, während Danny der Meinung ist, ein Holocaust-Überlebender hätte jedes Recht, nicht nur zu filmen was er wolle, sondern auch in der alten Baracke zu übernachten.

Während dieser Nacht in der Baracke in Auschwitz kommt es denn auch zur entscheidenden Aussprache zwischen Vater und Tochter. Nach dem Verzehr eines Stücks Pizza erklärt die Tochter, sie wolle abbrechen und ins Hotel zurück, der Vater besteht darauf, die ganze Nacht auf der Pritsche zu verbringen. Aus der Tochter bricht es heraus: „Wir lieben Dich, aber wir verstehen Dich nicht. Wir werden Dich nie verstehen. Und dafür solltest Du dankbar sein. Oder wäre es Dir lieber, wir hätten durchmachen müssen, was Du erlebt hast, damit wir dich verstehen können?“

Der Film ist zwar mit mindestens zwei Kameras gefilmt, was immer wieder zu fast spielfilmmässigen Dialogszenen führt, aber nicht schön, und nicht kunstvoll. Und auch der Schnitt ist vor allem der Dramatik verpflichtet, weniger dem ruhigen Zusehen. Insofern ist Pizza in Auschwitz formal kein herausragender Dokumentarfilm. Auf der inhaltlichen Ebene aber bewegt er sich auf Neuland, zumindest für Zuschauer ausserhalb Israels. Die Konfrontation mit zwei 18jährigen Deutschen in Auschwitz, denen Danny wütend vorhält, dass sie zu einem sadistischen Volk gehören, das zwar Mercedes-Autos bauen könne, aber den Holocaust organisiert habe, macht unter anderem deutlich, dass seine Kinder tatsächlich in einer anderen Welt leben als er: Bravo, meint Dannys Tochter, Du hast eben zwei 18jährige fertiggemacht, die immerhin betroffen genug waren, von sich aus nach Auschwitz zu kommen. Wenn die Tochter dann später auch noch leicht verzweifelt fragt, ob er es eigentlich darauf anlege, ihr und ihrem Bruder Schuldgefühle abzutrotzen, dafür, dass sie sein Leiden nie wirklich würden verstehen können, spätestens dann, ist jeder Zuschauer im Kinosaal mitten in diesem Konflikt auch persönlich angekommen.

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