LA CHIMERA von Alice Rohrwacher

Arthur (Josh O’Connor) und seine „Tombaroli“ © Ad Vitam

Als zweitletzter Film im Wettbewerb des Festivals von Cannes wurde heute die Schweizer Koproduktion La chimera von Alice Rohrwacher gezeigt. Es ist eine fantasievolle Ballade um italienische Grabräuber, Isabella Rosselini und Prinz Charles.

Der heutige King Charles kommt nicht wirklich vor in La chimera. Es ist Josh O’Connor, der britische Schauspieler, der Prince Charles in «The Crown» so anrührend verkörpert hat.

O’Connor spielt Arthur, den «Engländer», der mit einer wilden Gruppe von fröhlichen und verwegenen lokalen Männern etruskische Gräber plündert und die Fundstücke über den geheimnisvollen Hehler «Spartako» zu Geld macht.

Arthur ist der Spürhund, er hat die Gabe, mit einer Wünschelrute die uralten Gräber unter ihren Steinplatten im Boden aufzuspüren.

© Ad Vitam

Diese «Tombaroli», wie sich die Grabräuber nennen, wirken wie eine zeitgenössische Ausgabe der verwegenen Banden, die in Balladen besungen werden. Und sie spielen mit den lokalen Carabinieri denn auch regelmässig fast schon slapstickartig inszeniert «Räuber und Poli».

Und die Ballade, die ist auch im Film.

Alice Rohrwacher hat ein enormes Talent zum eben so präzisen wie ausschweifenden Erzählen. Dabei kommen ihr die Motive entgegen, die sie schon in ihren früheren Filmen so wunderbar ins Bild gerückt hat: Lokale Bräuche, Italianità, wilde Feste und Musik.

Und Menschen, die zeitenweise alle durcheinander reden.

Im Hintergrund sitzt als Matriarchin Isabella Rosselini in einem Rollstuhl, spielt souverän die Königin in ihrem zerfallenden Anwesen und schwärmerische Schwiegermutter für Arthur. Denn dass dessen Geliebte Beniamina, ihre Tochter, gestorben ist, das traut sich niemand ihr zu sagen.

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Alice Rohrwacher spinnt in ihren Filmen stets mehrere Fäden zu einem kunstvollen Gewebe. In La chimera sogar ganz wörtlich. In einer Traumsequenz von Arthur am Anfang des Films verheddert sich der Wollfaden von Beniaminas gestricktem Rock am Boden und wickelt sich Masche um Masche ab, während sie weggeht. Sie bemerkt das und folgt dem Faden zurück auf ihrem Weg, bis er im Boden verschwindet.

Gegen Ende des Films wird der Faden ganz wörtlich wieder aufgenommen. So wie vieles, was mit Witz und Ernst symbolisch aufgeladen ins Bild fällt, sich schliesslich metaphorisch fügt zu einer Art Utopie.

Es sind die Männer, welche die Gräber plündern, den Toten ihre Beigaben entwenden, jahrtausendealte Artefakte mutwillig zerschlagen, um die einzelnen Stücke besser verkaufen zu können.

Während die Frauen für die Gemeinschaft arbeiten. Sie haben heimlich Kinder, moralische Empörung, aufflammende Liebe und Momente, in denen sie sich im Tanz und der Musik vergessen. Sie übernehmen einen stillgelegten Bahnhof – der als öffentliches Gebäude nicht niemandem gehört, sondern allen, und machen eine Art Frauen- und Kinderhaus daraus.

© Ad Vitam

Alice Rohrwacher ist mit diesem Film eine legitime Nachfolgerin von Fellini geworden, ohne dem Meister im Geringsten nachzueifern. Sie spielt mit allen Ebenen des Kinos, sie nutzt Musik und Farbe, Mythologie und Sprachwitz, und sie beherrscht auch den Bildwitz.

La chimera ist ein feines Fest von einem Film.

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