Und wieder eine Frau, die selber die Kontrolle übernimmt. Vor und hinter der Kamera und gleich auch noch im Plot.
Ruths Man ist umgekommen, an dem Tag, an dem sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Allein und überfordert hört die Frau schliesslich die Stimme ihres ungeborenen Kindes. Und das Kind will Rache für den Tod seines Vaters.
Alice Lowe ist zuerst Schauspielerin, erfolgreich in Grossbritannien, in Serien und Sitcoms. Sie hat aber auch das Drehbuch für Ben Wheatleys Sightseers mitgeschrieben. Bei Prevenge zeichnet Lowe nun für Buch, Regie und Hauptrolle zugleich.
Die Prämisse für den Filmplot bildet wie bei Marianna Palkas Bitch die Überforderung einer Frau, drastisch überzeichnet im Gerüst eines Genrefilms.
Im Duett mit Jo Hartley, welche die zuständige Hebamme verkörpert, steigert Lowe die regulären Ängste ihrer Ruth von Untersuchung zu Untersuchung. Die Hebamme verkündet schon bald, dass das ungeborene Kind ab sofort die Kontrolle über ihren Körper habe, die schwangere Frau dagegen keine mehr. Hohe Töne etwa könnten spontane Laktation und unkontrollierten Milchfluss auslösen.
Ruth solle sich nicht dagegen stemmen: «Baby knows best».
Das weiss Ruth allerdings nur zu gut. Dass sie zum Wirtskörper für einen fremden Organismus degradiert wird, trifft ohnehin ihre Empfindung, zumal das ungeborene Kind sehr dezidiert darauf dringt, Ruth solle die Dinge in die Hand nehmen und sich die Leute vorknöpfen, die den Tod seines Vaters verschuldet hätten.
Der Mann ist bei einer Freizeit-Kletterpartie abgestürzt, das heisst, der Expeditionsleiter hat nach demokratischem Entscheid der Seilschaft den hoffnungslos baumelnden Teilnehmer vom Seil geschnitten, um sich und die anderen zu retten.
Die Umsetzung der Aufforderungen führt zu einer sich steigernden Serie von Slasher-Szenen. Ruth sucht die Expeditions-Teilnehmer einzeln auf und bringt sie mehr oder weniger aufwändig um.
Der Erste ist der eher widerliche Inhaber einer Zoohandlung, der einem mit Anspielungen auf seine «fette Schlange» und ähnliches so schnell unsympathisch wird, dass Ruths schneller Schnitt mit dem Messer durch seine Kehle zur eben so unerwarteten wie befriedigenden Pointe dieser ersten Episode wird.
Den zweiten, einen mittelalterlichen, fetten DJ, umgarnt die schwangere Frau dann allerdings einen ganzen Abend lang im Lokal und lässt sich von ihm im Taxi schon begrapschen, bevor es dann in seiner Wohnung im Zimmer neben seiner dementen Mutter blutig zur Sache geht.
Hier wird offensichtlich, dass Ruth Lowe beim Drehbuchschreiben in erster Linie ihrer Hauptdarstellerin gute Szenen und Momente bescheren wollte. Denn als Binnenstücke sind die einzelnen Mordszenen mit ihren Steigerungen und ihrer Figurenvielfalt durchaus saftig und unterhaltsam.
Aber in der Abfolge des ganzen Films wird die Sache dann eben doch eher repetitiv, zumal sich wenig ändert. Ruth wird geübter im Morden und zugleich zögerlicher, wenn es um die Erreichung der mörderischen Ziele ihres Kindes geht. Das gibt dramaturgisch ein Patt, aus dem der Film nicht wirklich wieder raus kommt.
Die psychologische Komponente der seltsamen Mutter-Kind-Beziehung mündet immer wieder im gleichen Dilemma: Die Mutter ist für die Bedürfnisse des Kindes zuständig und ihnen ausgeliefert. Aber aus der Frage nach der ethischen Verantwortung und jener nach der tatsächlichen Möglichkeit, die an den Fötus abzutreten, entsteht herzlich wenig.
So zeigt Prevenge, wie Bitch, das Potential des fantastischen Films und des Genrekinos in der Zuspitzung menschlicher Dilemmata. Dieses Potential liegt ja nicht nur in der Möglichkeit, mörderisch zugespitzte Geschichten mit Symbolwert zu erzählen, sondern auch in der rein wirtschaftlich gegebenen tiefen Kostenstruktur in Kombination mit einem fast globalen Nischenmarkt.
Das fantastische Kino war immer schon der Tummelplatz der Jungen, der Lernwilligen und der Ikonoklasten, die sich kompromissbereit bei Exploitation-Produzenten verdingten. Dass nun zunehmend Frauen in dieser Rolle auftauchen, und bezeichnenderweise polyvalente Frauen, die sich zunächst als Schauspielerinnen, Cutterinnen oder in anderen untergeordneten Chargen bewährt haben, ist ein weiteres Zeichen für die progressive Kraft des exploitativen Nischenkinos.
Dass diese Frauen nun aber immer selbstbewusster weibliche Urängste und gesellschaftliche Frauenzwänge in Genrebilder fassen, das ist faszinierend.
Denn Filme wie Bitch oder Prevenge sind ja nicht einfach Genrefilme mit einem Fokus auf die weiblichen Aspekte, wie zur Zeit eben Wonderwoman, also nicht kompromissbereit unterwanderter Mainstream, sondern echte thematische und perspektivische Avantgarde. Da macht es nichts, wenn sie in ihrer Umsetzung noch nicht das volle Potential erreichen.