GLORIA! von Margherita Vicario (Berlinale 2024, Wettbewerb)

Veronica Lucchesi, Carlotta Gamba, Sara Mafodda, Maria Vittoria Dallasta © tempesta srl

Femipop gegen barocke Langeweile. Schön wär’s! Der Berlinale-Wettbewerbsfilm der Italienerin Margherita Vicario will viel weiblichen Aufstand und Geschichtskorrektur und ist doch bloss ein Melodramusical.

Die erste Warnung kommt schon bald, als der ganze Hof von Sant Ignazio bei Venedig rhythmisch in Reih und Glied fällt. Die Wäscherinnen schrubben, schrubben. Die Waisenmädchen lachen, lachen. Die Teppichklopfer klopfen, klopfen.

Galatéa Bellugi © tempesta srl

Und mittendrin die stumme Teresa (Galatéa Bellugi), die das imaginäre Musical dirigiert. Bis eine der Ordensschwestern sie anherrscht, sie solle nicht träumen, sondern arbeiten.

Wir sind in einem Waisenhaus im Jahr 1800. Die jungen Frauen hier bilden eines der zahlreichen Barock-Orchester im Umfeld von Venedig, komplett mit Chor und Solistinnen. Geleitet wird die Institution von Padre Perlina (Paolo Rossi), einem ausgebrannten Priester und Komponisten.

Carlotta Gamba, Maria Vittoria Dallasta, Paolo Rossi, Sara Mafodda, Veronica Lucchesi © tempesta srl

Teresa ist die Magd für alles, sie bringt den anderen Mädchen heisses Waschwasser, wechselt Padre Perlino die Bettwäsche und musiziert heimlich in der Werkstatt mit den vielen herumwuselnden Kindern mit Rasseln und Schlaginstrumenten.

Fast gleichzeitig mit der Ankündigung, dass der Papst wohl zu einem Konzert anreisen werde (weil Rom von Napoleons Truppen besetzt ist), wird auch in einer geheimnisvollen Kiste ein neuartiges Instrument antransportiert, das Perlina sofort im Keller verschwinden lässt.

Dort findet es Teresa und beginnt auf den schwarzen und weissen Tasten zu improvisieren. Was wiederum die jungen Solistinnen und angehenden Komponistinnen aus ihren Zimmern lockt.

Bald erblüht das nächtliche Kellergewölbe im musikalischen Wettstreit zwischen barocker Kompositionsstrenge von der ersten Geigerin Lucia (Carlotta Gamba) und dem überbordenden, jazzig-bluesigen Pianopop der Autodidaktin Teresa.

Elio, Carlotta Gamba © tempesta srl

Die Mischung aus realistischem Kostümfilm und gegen die Musikgeschichte gebürstetem Popmusikschwulst wird ergänzt durch Intrigen und Geheimnisse.

Padre Perlina hat einen jungen Liebhaber, der ihn finanziell ausnimmt. Und komponieren kann er nicht mehr, auch wenn das Angesichts des Pabstbesuches von ihm erwartet wird. Zudem verbindet ihn mit Teresa ein weiteres dunkles Geheimnis, mit dem er sich schliesslich erpressbar macht.

In diesen Film sind so viele Vorbilder eingeflossen, dass keines richtig greifen kann. Da ist mehr als eine Spur von «Little Orphan Annie» bzw. Annie, dem Musical. Da sind Echos von Lindsay Andersons Internatsrevolutionsfilm If… von 1968. Da sind die Mean Girls und jede denkbare Aschenputtel-Variation, aufgebrezelt mit Anklängen an Amadeus, aber ohne dessen recherchierte Spekulation.

Bisweilen macht das durchaus Spass. Aber nicht nur etliche der Wendungen sind enorm absehbar, es gibt auch ganze Sequenzen, bei denen man mit Ermüdung feststellt, dass man die nächste Einstellung schon vor Augen hat, vor dem effektiven Schnitt. Wenn etwa Lucia einen Brief von ihrem Liebhaber erwartet, damit zum Bootssteg am Wasser hinuntereilt und nach den ersten gelesenen Zeilen erstarrt: Da ist schon klar, dass wir den Papierbogen gleich auf dem Wasser werden treiben sehen.

Aber am Ende setzt sich der Schrecken einer einzigen Erkenntnis durch: Die Easy-Listening Klassik von «Rondò Veneziano» wurde 1800 von einem Waisenmädchen auf der Suche nach Gleichberechtigung erfunden.

Veronica Lucchesi, Galatéa Bellugi, Maria Vittoria Dallasta © tempesta srl

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