Nyon 09: Geigen gegen Gangs – El sistema

elsistema

Über die völker- und menschenverbindende Kraft der klassischen Musik und der Orchesterarbeit sahen wir einige Dokumentarfilme in den letzten Jahren. Am erfolgreichsten in dem Genre war Rythm is it! von Grube und Lansch, welcher zeigte, wie die Berliner Philharmoniker mit Hilfe eines britischen Ballett-Magiers die Kids von der Strasse in die Hochkultur holten. El sistema von Paul Smacny und Maria Stodtmeier geht zu den Wurzeln der Bewegung, zu José Antonio Abreu, welcher in Venezuela ab 1975 eine Vielzahl von Orchesterschulen gründete. Das grösstenteils staatlich finanzierte System bindet die Kinder frühzeitig in eine Orchestergemeinschaft ein, gibt ihnen ein Gemeinschaftsgefühl, Ziele und Lebensfreude. Und es sorgt dafür, dass die Eltern zu Verbündeten werden im Kampf gegen die Gang-Bildung in den Slums. Der Eröffnungsfilm des diesjährigen Dokumentarfilmfestivals Visions du réel in Nyon hat ein grossartiges Sujet und – mit den vielen leuchtenden Kindergesichtern – eine Art eingebaute Publikumsgarantie.

Mitreissende Orchesteraufnahmen, in denen das Publikum und die jungen Musiker gleichermassen in Schwingung geraten, engagierte Lehrkräfte, begeisterte Kids, dazwischen Bilder von den Slumquartieren in Caracas und anderen Städten: Der Film macht alles richtig, feiert das staatlich getragene „System“ von Abreu – und macht damit auch ein wenig stutzig. Denn Distanz kommt in keinem Moment auf, wozu auch. Natürlich sagt zwischendurch einer der Lehrer, dass nicht alle der Kinder schliesslich internationale Karrieren machen werden. Und natürlich erklären auch einige der Kids selber, dass sie zwar alle gute Freunde seien, aber vor den regionalen Ausscheidungen für die Wahl ins nächstbessere Orchster zu Konkurrenten werden. Aber der Erfolg, der immer wieder betont wird, gibt dem System Recht. Und vielleicht genügt es ja für einen Dokumentarfilm, wenn er Fragen aufkommen lässt, ohne sie selber zu stellen.

Was leider nicht ganz genügt bei diesem Dokumentarfilm, ist die zuweilen unorganisierte Montage und die Organisation des Materials. bei einer Länge von 102 Minuten wirkt der Film wie ein dicker Zweistünder, was vom lausigen HD-Videomaterial (oder lag das an der Projektion im Gemeindesaal von Nyon? Falls ja, dann gehört der Beamer schleunigst ausgewechselt) auch nicht aufgefangen wird. El sistema ist ein typischer Eröffnungsfilm, ein Dokumentarfilm, der vor allem über sein Sujet funktioniert, der damit auch die höchst unterschiedlichen Würdenträger, Geldgeber, Politikerinnen und Premierengänger anspricht, der aber keine Stricke zerreist in Anspruch und Machart.

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