Berlinale 13: PARADIES: HOFFNUNG von Ulrich Seidl

© Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH
© Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH

Ulrich Seidls Paradies-Trilogie endet mit einer Überraschung. Der Film wird seinem Titel gerecht, er geht nicht an die Schmerzgrenzen des Publikums, wie die beiden ersten. Das könnte verschiedene Gründe haben. Und es hat mindestens eine Konsequenz.

Paradies: Liebe erfüllte die Erwartungen an Seidls gnadenlosen Blick. Und Paradies: Glaube löste die zu erwartenden Proteste aus religiösen Kreisen aus. Aber mit der Geschichte der übergewichtigen Dreizehnjährigen wäre Seidl in des Teufels Küche geraten, hätte er sie mit der gleichen ungefilterten Direktheit gefilmt.

©Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH
© Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH

Dabei möchte man ihm nicht einmal unterstellen, davor habe er sich gefürchtet. Viel wahrscheinlicher geht die (relative) Milde des Blicks einerseits auf das Konzept und den Titel zurück, andererseits auf das ursprüngliche Konzept. Schliesslich war Paradies einst als ein einziger episodischer Frauenfilm geplant. Und darin wäre die (einmal mehr: relative) Zurückhaltung nicht weiter aufgefallen.

Die Geschichte der Sextouristin schockierte in Cannes mit ihrer dokumentarischen Direktheit, jene der Jesusliebenden löste mit einer sexuell konnotierten Kruzifix-Szene gar kirchliche Proteste aus in Venedig. Beim dritten Teil, dieser Geschichte einer übergewichtigen 13jährigen im Diät-Lager aber bleibt Seidls Blick ungewohnt gnädig. Hätte er seine 80 Stunden Material wie ursprünglich geplant zu einem einzigen Film geschnitten, hätten sich der gnadenlose und der hoffnungsvolle Blick wohl abgewechselt.

©Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH
© Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH

Mit seinen Dokumentarfilmen provozierte Seidl immer mal wieder den Vorwurf, er stelle Menschen bloss. Und bei den Spielfilmen arbeitet er mit Laien und Schauspielern ganz ähnlich. Sein Markenzeichen ist die Kamera, die gerade dann nicht wegblickt, wenn es peinlich oder schmerzvoll wird.

In Paradies: Hoffnung gibt es mehr als genug peinliche Momente, und auch schmerzliche. Schliesslich sind Teenager grundsätzlich schmerzaffin, und die Peinlichkeit gehört sozusagen zu ihrer Existenzialität. Wenn das Mädchen dann auch noch übergewichtig, dreizehnjährig und verliebt in den abgehalfterten Diätarzt des Sommercamps gegen das Gefühl ankämpft, von Mutter und Tante abgeschoben worden zu sein, dann tut das alles schon ganz grundsätzlich weh.

©Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH
© Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH

Aber Seidl hat etliche Überraschungen in Petto. Zum einen gibt es unter den Jugendlichen in diesem Camp keine nennenswerten Rivalitäten oder gar Zickenkriege. Sie gehen sogar unerwartet liebevoll miteinander um. Und zum anderen holt Seidl aus jeder Begegnung des Mädchens mit dem Cabriot-fahrenden, Jeans- und Jacket tragenden, langhaarig-drahtigen Ex-Sonny-Boy-Doktor einen Schuss Zärtlichkeit heraus, der überrascht. Jeder potentielle Missbrauch endet in einer meist auch den Arzt überraschenden Geste des Trostes. Zwei dieser Szenen im Wald haben gar den Charakter einer magischen Heilung.

Meine eigenen Reaktionen und die etlicher Kollegen nach der Vorführung sind ein Hinweis darauf, dass Ulrich Seidl ein Coup gelungen ist. Wer sich in Paradies: Hoffnung zuweilen einem Hauch von Langeweile oder einem gedanklichen „naja“ ausgesetzt sah, kann nicht anders, als sich selber und seine Konditionierung zu hinterfragen. Denn damit, dass Seidl für einmal nicht völlig an die Schmerzgrenze ging, hat er die Erwartungen seines Publikums unterlaufen – und entlarvt.

Ulrich Seidl
Ulrich Seidl

Kommentar verfassen