NIFFF 14: CALVARY von John Michael McDonagh

Tochter Fiona (Kelly Reilly, Father James (Brendan Gleeson) © Ascot-Elite
Tochter Fiona (Kelly Reilly), Father James (Brendan Gleeson) © Ascot-Elite

Im Beichtstuhl erfährt Father James Lavelle von einem Mann aus seiner Gemeinde, dass dieser als Kind von einem Priester missbraucht worden sei. Der Täter sei längst verstorben, aber nun werde er, der Beichtende, am darauf folgenden Sonntag Father Lavelle umbringen. Denn nur der Tod eines guten Priesters könne die gleichgültige Welt noch aufrütteln.

Filme mit Brendan Gleeson sind grundsätzlich sehenswert. Und Filme von John Michael McDonagh mit Brendan Gleeson sind spätestens seit dem grossartigen The Guard absolut unumgänglich. Aber Calvary ist in mehrfacher Hinsicht eine Überraschung: Der Film unterläuft die meisten Erwartungen, er ist thesenhaft, dialoglastig, intelligent und – grossartig.

Der Titel Calvary ist eindeutig und programmatisch. Der Kalvarienberg steht in der katholischen Tradition für den Passionsweg, die Stationen des Leidens Jesu bis zur Kreuzigung. Und der Film schickt seinen Father Lavelle auf einen solchen Passionsweg. Denn in der Woche vor seinem angekündigten Tod trifft er auf Menschen und Situationen in seiner Gemeinde, welche stellvertretend die ganze Misere der orientierungslosen katholischen Kirche repräsentieren.

Father James (Brendan Gleeson), Metzger Jack (Chris O'Dowd) © Ascot-Elite
Father James (Brendan Gleeson), Metzger Jack (Chris O’Dowd) © Ascot-Elite

Father Lavelle diskutiert mit dem Atheisten, dem zynischen Arzt, der angesichts des Leidens seiner Patienten längst nicht mehr an einen guten Gott glaubt. Er setzt sich mit dem Suizidversuch seiner Tochter (Kelly Reilly) auseinander, denn Priester ist er erst als Witwer geworden.

Er streitet mit einem orientierungslosen neureichen ex-Banker, lässt sich verspotten von einem Ehemann, dessen untreuer Frau und von deren Liebhaber. Und er besorgt einem alten amerikanischen Schriftsteller (grossartig: M. Emmet Walsh) eine Pistole für dessen allfälligen Suizid. Denn, wie der Mann erklärt: Du bist wirklich alt, wenn niemand mehr in deiner Gegenwart vom Tod redet.

Father Lavelle ist nicht nur ein guter Mensch, er ist auch ein guter Priester, einer, der sich auf alle Herausforderungen einlässt, ein offenes Ohr hat für jeden, selbst für den jungen Mädchenmörder im Gefängnis. Gleichzeitig lässt er sich in seiner moralischen Erdung nicht beirren. Er ist kein Dogmatiker, kein Vertreter der kirchlichen Autorität (von denen gibt es mit dem Bischof und seinem Co-Priester zwei besonders jämmerliche Exemplare zu sehen), aber er ist ein Mann Gottes und des Glaubens.

Brendan Gleeson als Father James © Ascot-Elite
Brendan Gleeson als Father James © Ascot-Elite

Darum wird seine Woche der Unsicherheit und Herausforderungen auch für das Kinopublikum zur Passion. Wenn Father Lavelle für alle Vergehen, Versäumnisse und Verbrechen, die im Namen der Kirche in Irland begangen wurden, den Kopf und das Herz hinhalten muss, ist das schmerzlich, und das Dilemma, mit dem er leben muss, die Diskrepanz zwischen seinem Glauben und dem, was im Namen des Glaubens alles zerstört worden ist, ist plötzlich kein theoretisches mehr, sondern eine sehr kinogerechte Ausgangslage für packende Szenen.

Dass viel geredet wird und debattiert in dem Film, fällt auch darum kaum ins Gewicht, weil die Szenen organisch aus einer zusammenhängenden Gemeindegeschichte heraus entwickelt werden. Calvary ist zwar konstruiert wie ein Passionsweg in einer Kirche. Aber nicht mit numerierten Tableaus, sondern als fliessende, zwingende und immer wieder auch urkomische Geschichte.

Und am Ende steht Calvary neben The Guard als eigenständiger Zwilling, als Ergänzung und Weiterführung einer persönlichen Passionsgeschichte eines zutiefst menschlichen Mannes, in beiden Fällen grossartig gespielt von Brendan Gleeson. Dass es McDonagh gelingt, einen nicht nur in das unauflösliche Dilemma der irischen Geschichte mit der katholischen Kirche hineinzuziehen, ist schon ein Wunder für sich.

Dass er uns gleichzeitig packt und beschämt mit dem Beispiel dieses Mannes, der sich weder vom Zynismus seiner Umgebung noch von der pauschalen Gleichsetzung der christlichen Ideale mit den Verbrechen der Kirchenvertreter beirren lässt und so weit geht, die Schuld aller anderen auf sich zu nehmen, ist ein Meisterstück. Denn dieser Father Lavelle ist so real und so fehlerbehaftet wie der zugleich korrupte und menschliche Polizist in The Guard, eine Figur aus Fleisch und Blut, kein Idealbild und schon gar kein Heiliger.

In Irland ist Calvary zu einem Publikumserfolg geworden – was niemanden wundern dürfte, der den Film gesehen hat.

In der Deutschschweiz ist Calvary bei Ascot-Elite im Verleih, Kinostart ist am 25. September 2014

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