Locarno 15: TRAINWRECK von Judd Apatow (Piazza Grande)

Amy Schumer und Bill Hader © Universal Pictures
Amy Schumer und Bill Hader © Universal Pictures

Die Standup-Comedienne Amy Schumer ist (neben Donald Trump) der US-Star der Stunde. Und dies im Gegensatz zu ihm durchaus zu Recht. Ihre Amy in dieser Komödie ist das titelgebende «Zugsunglück», eine Frau mit Bindungsängsten, zu viel Sex, zu viel Alkohol und zuwenig Sicherheit im Bezug auf ihre eigene Liebenswürdigkeit. Bis sie für ihr Magazin einen attraktiven, seltsam liebenswerten Arzt interviewen muss.

Amy Schumer hat das Drehbuch zu Trainwreck geschrieben, Judd Apatow führt extrem gagsicher wie gewohnt Regie, und im Kino reissen die Lacher nicht mehr ab. Die Sprüche und die Situationskomik decken die ganze Bandbreite von platt bis (US-) schockierend ab. Ergänzt wird sie durch Kontrastkomik, Tilda Swinton als Chefredakteurin aus der irr-britisch akzentuierten Vorhölle und Daniel Radcliffe als Dogwalker im Film im Film – um nur ein paar Highlights zu streifen.

Und erst am Ende, wenn die Gesichtsmuskeln schmerzen und das Zwerchfell die Haare sträubt, fällt einem auf, dass man sich – rein plotmässig – kampflos einer unverschämt sentimentalen «Romantic Comedy» ergeben hat.

Bill Hader, Amy Schumer © Universal Pictures
Bill Hader, Amy Schumer © Universal Pictures

Amy Schumer hat in ihr Drehbuch das weite Feld ihres Talents eingebracht und sich selber samt ihrer Standup-Routine in den Film. Wie mittlerweile einige Comediennes (allen voran wahrscheinlich die grossartige, beinahe tabulose Sarah Silverman) setzt sie sehr effizient auf den Umstand, dass sie sich als Frau mit ihren Frauenfiguren alles erlauben kann, was einen Mann die Karriere kosten würde.

Amy Schumer, LeBron James © Universal Pictures
Amy Schumer, LeBron James © Universal Pictures

Es gehört zur kulturellen Befreiungsevolution, sich über sich selber lustig machen zu können, und sich damit auch die Freiheit zu erobern, das gleiche mit seinem Umfeld zu tun. Wenn Amy sich in voller feministischer Überheblichkeit über die Cheerleaderinnen bei einem Basketball-Spiel lustig macht und am Ende dafür Busse tut, indem sie selber mittanzt, so gut es eben geht, dann illustriert das nur einen Teil dieser Befreiungsmechanismen.

Sie kann aber auch, zusammen mit Regisseur Apatow, ihrem nicht allzu intelligenten Bodybuilder-Boyfriend eine latent homosexuelle Komponente verpassen, welche urkomisch kontrastiert mit der eigentlich vom Klischee vorgegebenen Homophobie. Und die Komik, welche auf dieser ersten Ebene noch etwas billig wäre, wird plötzlich zum Goldstandard, wenn auch in dieser Figurenkonstellation eine Umkehrung stattfindet. Amy möchte Sex mit schmutzigen Wörtern, der arme Kerl sieht sich aber ausserstande, auch nur ansatzweise dreckig zu reden. Amy ist seriell untreu und definiert sich darüber, er möchte heiraten und Kinder kriegen.

Nach dem ersten Sex mit dem tollen Arzt möchte der im Bett kuscheln, sie dagegen so schnell wie möglich weg aus der Wohnung, oder doch wenigsten beim Schlafen jeden Körperkontakt vermeiden.

Trainwreck dreht Klischees entweder zwei oder dreimal um – oder der Film spielt sie direkt aus. Auch das gehört zu seinen Stärken. Wenn an einem Anlass eine von Amys Magazin-Kolleginnen dem attraktiven Afro-Amerikaner vor ihr begeistert erzählt, sie habe auch schon einen schwarzen Freund gehabt, anwortet der lakonisch: «Your Mother must be proud of you».

Augen auf und durch heisst die Devise in vielen Momenten dieses Films. Witze über blutige Tampons schockieren nicht nur gezielt das Publikum, sondern stellvertretend auch ein paar der Filmfiguren.

Tilda Swinton © Universal Pictures
Tilda Swinton © Universal Pictures

Und über die ganzen 125 Minuten hinweg trägt die perfekte Balance von Sentimentalität und Komik. So sehr, dass man aus dem Kino kommt, und zunächst einfach staunt über die eigene Rührung, welche der gezielt superkonventionelle Schluss auslöst. Und dann ins Grübeln gerät und auch das gleich wieder aufgibt, weil man anfängt, die besten komischen Momente Revue passieren zu lassen und merkt, dass die schneller weg sind, als man es für möglich gehalten hätte.

Wahrscheinlich, und das wäre ein gutes Zeichen, ist Trainwreck einer jener Filme, die man immer wieder gucken kann – je nach Begleitung mit höchst unterschiedlich akzentuierter Freude.

Regisseur und Produzent Judd Apatow
Regisseur und Produzent Judd Apatow

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