SFT 16: DIE SCHWALBE von Mano Khalil

Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus
Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus

Der in der Schweiz lebende Kurde Mano Khalil setzt mit seinem Spielfilm Die Schwalbe fort, was er mit seinen Dokumentarfilmen Unser Garten Eden und Der Imker schon aufgenommen hat: Das komplexe Weben menschlicher Bezüge über Herkunftsgrenzen und Familienbande hinweg. Die Schwalbe hat heute Abend die 51. Solothurner Filmtage eröffnet.

Solothurnbalken2016

Mira (Manon Pfrunder) ist in der Schweiz aufgewachsen. Ihre Berner Mutter hat ihr erzählt, ihr kurdischer Vater sei vor ihrer Geburt in seiner irakisch-kurdischen Heimat verschwunden, im Kampf gegen die Schergen von Saddam Hussein.

Manon Pfrunder © Columbus
Manon Pfrunder © Columbus

Aber dann findet Mira auf dem Dachboden versteckte Briefe des Vaters und ein Medaillon. Voller Wut über die Lüge der Mutter, und ohne ein Wort kurdisch zu sprechen, reist sie in die Fremde. Ihr einziger Anhaltspunkt sind die diversen Absenderadressen auf den Briefen, ihr Antrieb eine vage Sehnsucht.

Schon in der kurdischen Hauptstadt Erbil trifft Mira auf viel Bürokratie, einige Sprachbarrieren und seltsame Reaktionen bei ihren Erkundigungen nach ihrem Vater. Und auf einen jungen Mann, der ihr ungeniert auf Deutsch antwortet, als sie ihn im Verwaltungsgebäude auf Englisch nach dem Weg fragt.

Ismail Zagros © Columbus
Ismail Zagros © Columbus

Ramo (Ismail Zagros) taucht auch in der nächsten Stadt ihrer Suche wieder auf und begründet das ihr gegenüber damit, dass er auf Arbeitssuche sei, ein Auto habe, und sie doch dringend einen Dolmetscher und Fahrer brauche.

Als Zuschauer wissen wir zu dem Zeitpunkt allerdings bereits, dass er auf Mira gewartet hat; am Telefon hat er jemandem erklärt, sie sei jetzt angekommen. Und «die Schnalle» könne kein Wort Kurdisch.

Ismail Zagros (rechts) ist Ramo © Columbus
Ismail Zagros (rechts) ist Ramo © Columbus

Ist die erste Exposition der Geschichte, Miras Einführung und Motivation in der Schweiz, noch etwas holprig und allzu zielstrebig inszeniert, nimmt der Film in Kurdistan definitiv Fahrt auf.

Spannungsmotor ist die Thrillerdramaturgie, der Umstand, dass wir als Zuschauer wissen, dass Ramo mit Mira kein ehrliches Spiel spielt. Aber seine Motivation erschliesst sich auch dem Publikum nur langsam, so langsam, dass Mira und wir Zeit haben, den jungen Mann als Menschen kennen zu lernen.

Und eben so erkennen wir zusammen mit Mira, was all diese kurdischen Regionen zwischen Syrien, Irak und der Türkei, dieses teilautonome Kurdistan und all die umkämpften Grenzgebiete, zu unberechenbarem Territorium macht. So erklärt Ramo die Kalaschnikow, die Mira im Kofferraum seines Mercedes findet, damit, er sei Peschmerga, ein Soldat des freien Kurdistan. Aber schon beim nächsten Peschmerga-Kontrollposten wird er von den Soldaten zusammengeschlagen – bis ein Vorgesetzter seinen Ausweis kontrolliert und ihn mit Mira ziehen lässt.

Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus
Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus

Ohne zu viel zu verraten darf man sagen, dass «Die Schwalbe» konsequent damit spielt, dass die beiden Hauptfiguren Mira und Ramo ihre Vorstellungen von einander und von sich selber und den Verpflichtungen ihrer Herkunft schliesslich radikal hinterfragen müssen.

Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus
Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus

Beiden bleibt als Gewissheit schliesslich nicht das, worauf sie sich glaubten verlassen zu können, dafür das, was sie als Menschen auszeichnet: Die Liebe ist stärker als der Hass. Selten hat ein Film diesen so oft nachlässig hingeworfenen Satz stärker umgesetzt, und selten einer tragischer.

Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus
Manon Pfrunder und Ismail Zagros © Columbus

«Die Schwalbe» ist kein geschliffener Spielfilm. Man merkt ihm an, dass sein Drehbuch über 15 Jahre hinweg auf seine Umsetzung warten musste. Nicht nur die komplexen Wege der Filmförderung standen seiner Umsetzung im Weg, auch der Lauf der Geschichte hat am Plot herumgekratzt – wenn auch mit erstaunlich wenig Konsequenz. Man glaubt Mano Khalil, wenn er im Gespräch mit Matthias Lerf von der «Sonntagszeitung» erklärt, die Situation der Kurden habe sich eigentlich seit 80 Jahren nicht verändert. Das, was der Film zeigt, sind die heillosen Verwicklungen von Politik, Traditionen, Loyalitäten und gnadenlosem Opportunismus.

Aus all dem eine Geschichte zu zimmern, die zu Herzen geht und schockiert und nachwirkt: Das ist eine Leistung. Es mag elegantere Filme geben. Aber nur wenige, die so ehrlich wirken, so verzweifelt und zugleich so hoffnungsvoll.

Die Schwalbe ist eine Koproduktion meines Arbeitgebers SRF.
An den Filmtagen ist der Film am 23. Januar und am 26. Januar zu sehen.
Ins Kino kommt er am 4. Februar

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