Vielleicht hat der umtriebige kanadische Filmemacher mit diesem feinen Film einfach Pech gehabt. Nach all den Serien wie Les revenants und der globalen Zombie-Invasion, welche The Walking Dead befeuert hat, sind ein paar Verstorbene, die ruhig und stumm über die Strasse blicken, nun, unspektakulär.
Dabei ist gerade das der eigentliche Witz von Cotés Film. Aber die wenigen Stimmen, die das bei seiner Festivalpremiere an der Berlinale im Februar zu goutieren wussten, haben sich nicht durchgesetzt.
Irénées-les-neiges heisst das Dorf im kanadischen Hinterland, dessen 215 Einwohner zu 214 werden, als Simon Dubé mit seinem Auto auf offener Landstrasse plötzlich das Steuer herum reisst und in ein paar Betonblöcke rast.
Sein Bruder Jimmy ist vor allem wütend, seine Mutter wehrt sich gegen den Verdacht, ihr Sohn habe sich absichtlich umgebracht. Und die trinkfeste Bürgermeisterin lehnt die psychologische Hilfe, welche ihr die Provinzverwaltung für das Dorf schicken will, rundweg ab:
«Wir sind einfache Leute, wir reden miteinander und wir lösen unsere Probleme, indem wir einander helfen. Ich kenne jeden einzelnen Einwohner persönlich.» Die Bürgermeisterin will keine fremde Hilfe. Sie will überhaupt keine Fremden.
Aber von denen tauchen immer mehr auf. Die Einwohner sehen immer häufiger Unbekannte, die aus Distanz zu ihnen hinüberschauen. In einzelnen Häusern scheint es Eindringlinge zu geben, die allerdings nichts mitnehmen, nichts beschädigen, keinen Kontakt aufnehmen.
Nach ein paar Tagen erzählen sowohl Simons Mutter wie auch sein Bruder Jimmy, dass sie dem Toten begegnet seien. Und schliesslich kommt ein Sprecher der Regionalverwaltung und erzählt, dass überall in den ländlichen Gebieten Menschen gesichtet würden, die längst verstorben seien. Sie reden nicht, sie tun nichts, sie schauen bloss. Man solle sich einfach nicht um sie kümmern.
Der englische Titel von Denis Cotés französischsprachigen Film ist Ghost Town Anthology. Im Vergleich zum Répertoire des villes disparues ist das bereits eine Interpretation. Aber nur eine der möglichen Auslegungen.
Dass diese kleinen Orte immer weniger Einwohner haben, aber dafür immer mehr Erinnerungen an frühere Zeiten und Menschen, die nicht mehr da sind, ist eine globale Entwicklung. Dass sich die Einwohner fürchten vor den fremden Unbekannten, dass sie glauben, die seien nicht wie sie – bloss um dann zu merken, dass sie es im Grunde selber sind, ihre Eltern, Geschwister, Vorfahren: Das ist der leise Schock, der nachklingt.
Sein Film erzähle aus jenen Gegenden seiner Heimat, in denen die Menschen keine Veränderungen mögen, sagte Denis Coté am NIFFF vor der Vorführung seines Films.