Ohne die mageren Informationen aus dem Festival-Katalog würde dieser Film für die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer zum doppelten Experiment: Wie universal wirken Sätze über Unterdrückung, Diktatur, Falangisten, beendete Kriege, Kriegsmüdigkeit oder ein Vorher-Nachher?
Dass es um die faschistische Diktatur in Spanien geht, wird einigermassen bald klar. Aber wie sind die Geschichten der einzelnen auftretenden Figuren verknüpft?
Die erste Szene zeigt eine Bettlerin und einen Bettler auf den Stufen eines Kirchenportals. Sie fragt ihn, ob sie den Ort mit ihm teilen dürfe, er ist einverstanden, sofern sie ihre Einnahmen mit ihm teile.
Aber dann teilen sie vor allem Erfahrungen. Dass sie beide einst ein anderes Leben hatten. Dass sie aber heute selbst von denen Verachtung spüren würden, die etwas spenden. Dass der Krieg vorbei sei… und das für immer, wie er meint. Dann teilt sie ihr Brot mit ihm.
Der Mann, der später im Tram mit einem Geschäftsmann redet, sagt nicht viel. Der Geschäftsmann handelt nach eigenen Angaben mit Regenschirmrippen. Das sei aber kein richtiges Geschäft. Früher habe er Pelze verkauft. Das könne jeder. Und er habe Erfolg gekannt und Misserfolg.
Nun aber wolle er nach Amerika. Da gäbe es noch Chancen, von da könne man reich zurückkehren. Der andere spricht ihn auf seine Zeit mit den Falangisten an. Ja, da bespitzle jeder jeden, gibt der Geschäftsmann zurück. Unter Brüdern, das sei nicht richtig.
Der jüngere, mit dem Bart, ist offenbar Anxo, der nach dem Bürgerkrieg zurückkehrt nach Galizien. Seine Begegnungen, aber nicht nur seine, die Dialoge, später auch Monologe, decken einen recht grossen Zeitraum und verschiedene Zustände des Landes ab – dreissig Jahre Franco-Diktatur?
Etwas zieht sich durch: Ein Misstrauen der Politik gegenüber. Eine Witwe erklärt gar, ihr sei es völlig egal, wer die Macht habe im Land. Hauptsache nie wieder Krieg. Und die Hauptfigur ermahnt aus dem Gefängnis seine Frau brieflich, den Sohn dazu anzuhalten, der Politik fernzubleiben.
Da werden Zeugnisse gesprochen, Dialoge gespielt, von Leuten, die wahrscheinlich keine professionellen Schauspieler sind, in sparsamer Umgebung, später im Wald, der für ein einstiges Jesuitenkloster steht, das wiederum als Gefängnis oder Umerziehungslager zu dienen scheint. Oder diente.
Longa noite ist ein eigenwilliger Film, der sich wahrscheinlich je nach Vorwissen und eigener Verortung einfacher erschliesst oder gar nicht.
Dass ein Film darauf verzichtet, sein Publikum auf einen gemeinsamen Wissensstand zu bringen, hat etwas bockiges, trotziges. Dass Schmerz und Angst und Erinnerungen, die aus den vielen Worten in dieser «endlosen Nacht» herauszuspüren sind, bildet dann wiederum diese gemeinsame Erlebnisbasis.
Um sich auf die einzulassen, braucht man allerdings Disziplin, eine externe Motivation, oder eben das Wissen und die Fragen, die hier in aller Selbstverständlichkeit mitschwingen.
Gefilmt sind die Sequenzen sorgfältig, mit schön gesetztem Licht, begrenzten Räumen, zugleich theatralisch und zurückhaltend.