Locarno 15: NO HOME MOVIE von Chantal Akerman (Wettbewerb)

No Home Movie

Chantal Akerman ist eine jener wenigen europäischen Filmemacherinnen, die sich schon ab Ende der Sechziger Jahre einen bleibenden Namen geschaffen haben. Stilistisch, formal und inhaltlich hat sie sich stets radikal vom Bestehenden abgegrenzt.

 

Jetzt ist sie 65 Jahre alt und präsentiert im Wettbewerb von Locarno einen Dokumentarfilm über ihre Mutter.

No Home Movie 3

Der Film ist eine bewusste Zumutung, nicht inhaltlich, da redet im wesentlichen Chantal Akerman mit ihrer todkranken Mutter in Brüssel am Küchentisch über die Familiengeschichte. Aber formal. Als Auftakt gibt es eine augesucht hässliche fünfminütige Einstellung auf zwei Bäume im Sturmwind in einer Dünen- oder Wüstenlandschaft, inklusive rupfendes Windgeräusch am Mikrofon. Später steht die kleine Digitalkamera irgendwo fix platziert, zeigt Akermans Rücken und die Mutter beim Reden. Oder sie filmt gleich den Notebook-Bildschirm, während sie sich von New York aus mit der Mutter über Skype unterhält.

No Home Movie verkündet der Titel. Und die Bilder nehmen das ernst. Die wollen nicht gefallen.

No Home Movie 2

Chantal Akerman war 25 Jahre alt, als sie mit Jeanne Dielman, 23, Quai du commerce, 1080 Bruxelles einen verstörend nüchternen, 201 Minuten langen Film in die Welt setzte. Delphine Seyrig spielte die Titelfigur, eine verwitwete Mutter, zu deren eintönigem, streng organisierten Tagesablauf auch die ebenso eintönige Prostitution gehört. Über drei Tage hinweg spielt die Handlung mit der Eintönigkeit und dann folgt eben so beiläufig ein Schock, den man erst wahrnimmt, als er schon vorbei ist.

Die Radikalität dieses Films bestand auch daraus, nicht für Unterhaltung oder Spannung oder auch nur erzählerischen Zug zu sorgen. Und gerade dies lässt ihn auch heute noch hypnotisch wirken.

No Home Movie wirkt da doch angestrengter anstrengend. Wohl ist nachvollziehbar, dass Akerman nicht einen weiteren dieser schön ausgewogenen Abschiedsfilme eines Filmemachers oder einer Filmmacherin mit Mutter oder Vater in die Welt setzen wollte.

Es leuchtet auch ein, dass sie den Bildern von ihrer Mutter, welche die Wohnung in Brüssel im Film nie verlässt und unterdessen gestorben ist, wütende, starre Bilder einer wütenden Landschaft oder aus dem fahrenden Auto entgegenmontiert.

Es ist nachvollziehbar, dass die Position der Kamera in der Wohnung stets klar macht, dass da eine Kamera am Rand des Geschehens oder Gesprächs liegt und das mitschneidet. Aber gleichzeitig wirkt gerade die Hässlichkeit des Bildausschnittes, die eindeutige Verweigerung jeder Ästhetisierung mit der Zeit wie eine Bestrafung der Zuschauer. Das ist wahrscheinlich nicht intendiert, es sei denn, ich soll als Zeuge gezwungen werden, die Wut der Filmemacherin über die Hilflosigkeit angesichts des Endes eines nicht nur schönen Lebens.

Wie auch immer das gemeint sein sollte, etwas gelingt diesem Film auf jeden Fall: Er liefert keine unserer gewohnten, hoffnungsvoll manipulativen Rechtfertigungen seiner Existenz mit. Das ist ein Augenöffner und ein Angebot zur Eigenständigkeit.

Chantal Akerman
Chantal Akerman

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