Vor fünf Jahren gewann der Portugiese Costa in Locarno den Regiepreis für Cavalo Dinheiro (Horse Money). Das war sein bislang letzter Film, nun ist er wieder im Wettbewerb, mit einer eben so strengen wie zeitweilig betörenden Stil-Volte.
Die Lichtgestaltung ist das augenfälligste an diesem Film. Alles kommt aus dem Dunkel, das meiste bleibt darin, achtzig Prozent der Leinwand bleiben schwarz bis fast zum Schluss.
Das Licht, das ins Bild fällt, kommt stets indirekt von hinten, schneidet nicht nur Silhouetten aus der Szenerie, sondern perfekt ausgeleuchtete Halbkörper, Gesichter, Beine oder auch Gegenstände. So entsteht nicht etwa ein Schattentheater, sondern ein ungemein plastisches Bild, eine Art «chiaroscuro al fresco», das dem Blick jeweils gerade so viel vorenthält, dass die sichtbaren Elemente wörtlich ins Auge fallen.
Es beginnt in einer dunklen Gasse vor einer Friedhofsmauer. Die Männer – es sind zunächst fast ausschliesslich Männer – die hier im Dunkel der Nacht vorbeiziehen, tauchen auf und verschwinden, im Bild, aus dem Bild. Aber auch im Gassensystem dieses ärmlichen Quartiers, durch Türen, über Treppen.
Einem von ihnen folgt die Kamera durch die Tür, in ein Zimmer, zu einem Bett mit blutigem Laken und blutigem Kissen. In der Küche fegt ein Mann den Boden, während der andere die Bettwäsche zum Abfall hinausträgt.
Am Flughafen kommt eine Frau die Gangway herunter, barfuss, eine Wasserspur unter den Füssen. Vitalina Varela (auch der Name der Schauspielerin) ist 55 Jahre alt und hat fünfundzwanzig Jahre auf diesen Flug gewartet, der sie nun drei Tage zu spät nach Portugal gebracht hat.
Das meiste davon erfahren wir beiläufig, die Geschichte von Vitalina und ihrem Joaquin taucht in einzelnen Stücken aus dem Dunkel auf wie die Figuren aus dem Dunkel der Bilder.
45 Tage lang haben Vitalina und Joaquin auf den Kapverden gemeinsam ihr Haus gebaut, nachdem sie geheiratet hatten. Dann ging Joaquin auf und davon.
In diesem Film hadert nicht nur eine Frau mit den unerfüllten Lebensträumen. Da ist auch der Priester, den eine Tragödie auf den Kapverden ebenfalls an diesen ärmlichen Ort in Portugal verschlagen hat, unter diese traurigen Männer, die trinken, sich vernachlässigen und ihre Körper und Arbeitskraft in der Fremde verdingen.
Bloss ist das nun bereits Interpretation. Vitalina ist gekommen, um zu bleiben, jetzt, da ihr Mann tot ist. Und wenn der Priester behauptet, sie müsse Portugiesisch lernen, um den Toten nachträglich zu verstehen, dann mag das metaphorisch gemeint sein oder wörtlich.
Pedro Costas Entscheidung, diese Auseinandersetzung einer Frau mit der Zerstörung einer Liebe und eines einstigen gemeinsamen Traumes so im Dunkel zu lassen, mit einzelnen Highlights, stilisiert bis zum Maximum (und in mindestens einer Szene mit Vitalina im Sturm auf dem Dach übers Maximum hinaus in den Kitsch hinein), macht diesen Film unverwechselbar.
Kameramann Leonardo Simões‘ Art, mit dem Licht umzugehen, unterläuft den systemischen, blendenbasierten Rassismus der klassischen Filmbelichtung, die sich mit dunkler Haut nicht nur in Gegenwart heller Haut schwer getan hat, sondern stets auch mit dunkler Haut in dunkler Umgebung.
Vitalina Varela ist ein extrem artifizieller Film, ein Hochamt des Haderns und der Verzweiflung. Die Schönheit dieser Bilder kontrastiert enorm mit dem Schmerz der Figuren.