DAS EINZIGE WAS WIR HABEN IST UNSERE STIMME von Heidi Schmid & Christian Labhart

Sie gehören zum engagierten Dokumentarfilm wie die verzerrten Stimmen zum Zeugenschutz: Die «Testimonials», sprechende Köpfe vor der Kamera, Talking Heads, sogenannte «Direktbetroffene», die uns eher erreichen als ein paar trockene Zeilen zu ihrem Schicksal.

Aber ich kann mich nicht erinnern, im Kino schon einmal ein derart starkes Gruppenarrangement erlebt zu haben, wie es dieser kurze Film präsentiert.

Da sitzen fünfzehn Männer und Frauen auf einer dreistufigen Tribüne in einem abgedunkelten Raum. Zehn von ihnen sind Tibeterinnen und Tibeter, fünf ihre Schweizer «Patinnen» und «Paten».

Die Tibeter sind Sans-Papiers, Geflüchtete ohne Ausweis, ohne Aufenthaltsbewilligung, ohne offizielle Existenz, ohne Ausweg. Geflohen über die Berge, über Drittländer, vor der chinesischen Repression, und darum logischerweise auch ohne schriftlichen Nachweis ihrer Existenz und Herkunft.

In der Schweiz – und nicht nur hier – führt das zum absurden Catch 22. Wer als Asylbewerber eine Chance haben will, muss nicht nur nachweisen können, dass er oder sie im Herkunftsland verfolgt wird, sondern auch dass er oder sie tatsächlich von dort kommt.

Nacheinander stehen die Frauen und die Männer auf, schildern in kurzen Skizzen ihre Situation, ihre Angst, ihre Verzweiflung. Sie tragen alle den uns längst vertrauten Mundschutz. Nicht aus Angst vor Corona (gedreht wurde letzten Sommer), sondern aus Angst, identifiziert zu werden.

Die fünf Schweizerinnen und Schweizer zeigen ihr Gesicht, ihr Mitgefühl, ihr Unverständnis für die Situation der Menschen, für die sie sich einsetzen.

Ein Mann schildert, wie ihn die Polizei aus der unterirdischen Notunterkunft holt, weil er die eingeschriebene Behörden-Post nicht abgeholt habe: «Wie soll ich meine Post abholen ohne Ausweis? Ich bekomme nichts ausgehändigt…»

Sie werden vom anonymen Apparat gebüsst, sie haben kein Geld, dürfen nicht arbeiten und werden ins Gefängnis gesteckt, weil sie die Busse nicht bezahlen können.

Dieser knapp zwanzig Minuten lange, einfache Film kann einen zur Verzweiflung treiben – meint man. Und schämt sich dann gleich ein wenig, weil unsere Reaktion auf das geschilderte so gar nicht an die tatsächliche Verzweiflung dieser Menschen heranreicht.

So lange sich alle hinter den Buchstaben des Gesetzes, der Paragrafen, der Vorschriften verschanzen, sagt einer der Paten, verändert sich gar nichts.

Und niemand ist schuld, ergänzt man für sich, als Zuschauer.

Wer es nicht damit bewenden lassen mag: http://tibetansanspapiers.ch/

          • Der Film ist im Rahmen des Kurzfilmblocks VII der Solothurner Filmtage zu sehen, ab heute 12 Uhr

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