MEMORIA von Apichatpong Weerasethakul

Tilda Swinton © Kick the Machine

Vor etwas über zehn Jahren hat Weerasethakul mit Uncle Bonmee uns in Cannes das kindliche Vergnügen am magischen Denken zurückgebracht. An diesen Onkel, der sich an seine früheren Existenzen erinnern konnte, erinnert Weerasethakuls erster ausserhalb von Thailand spielender neuer Film.

Tilda Swinton ist als Schottin in Kolumbien unterwegs, schläft in einer Wohnung und schreckt mitten in der Nacht auf, als sie einen lauten, dumpfen Knall hört.

Diesen Knall wird sie noch etliche Male hören in diesem Film. Aber nur sie. Darum nimmt sie auch die Hilfe eines jungen Toningenieurs in einem Studio in Anspruch, um dem Knall überhaupt erst mal auf die Spur zu kommen.

Tilda Swinton und Juan Pablo Urrego © Kick the Machine

Diese Szenen im Studio haben eine ganz eigene Faszination. Weil der Techniker aus einer Geräuschbibliothek für Filme zuerst passende Beispiele heraussucht und die dann klanglich nach den Angaben der Frau verfeinert, als ob er ein Roboterbild eines Gesuchten herstellen müsste.

Das ist nicht nur darum spannend, weil wir Einsicht in die Kunst der Vertonung bekommen, sondern auch darum, weil im Film angeblich synthetisiert werden muss, was zuvor für den Film ja schon hergestellt wurde. Nämlich dieser Knall, den nun Tilda Swinton hört, und wir, das Publikum.

Wie so oft bei Weerasethakul bleibt vieles offen oder angedeutet. Manche Szene scheint nirgendwo hinzuführen, aber diese Jessica Holland landet schliesslich auf dem Land an einem Bach bei einem Mann, der ihr erklärt, er habe seine Ortschaft im Leben nie verlassen. Gleichzeitig ist er offenbar die ältere Verkörperung des jungen Toningenieurs.

Tilda Swinton und Elkín Diaz © Kick the Machine

Er könne sich an alles perfekt Erinnern und habe darum keine Kapazitäten für weitere Erlebnisse. Was man ihm sofort glaubt, als er schildert, was eine reine Berührung eines Flusskiesels bei ihm an Erinnerungen auslöst.

Nämlich die an einen Mann, der von zwei anderen überfallen und beraubt wurde, detailliert bis auf das letzte Wort.

Dieser Hernán vergleicht sich mit einer Festplatte und erklärt Jessica, sie sei wohl so etwas wie eine Antenne, die ausgerechnet für seine Erinnerungen besonders empfänglich sei. Denn der Knall, den sie immer wieder hört, der kommt aus seinem Fundus.

Der Film zeigt sogar, in einem typischen, beiläufigen, überraschenden Weerasethakul-Moment, wie der Knall entsteht.

Tilda Swinton und Constanza Gutierez © Kick the Machine

Das Spiel mit Erinnerungen, das Weerasethakul hier treibt, umfasst nicht nur Klänge und Geschichten, sondern auch Skelette, Berührungen, Bibliotheksstudien und Anthropologie.

Memoria ist einmal mehr ein Erlebnis über viele Kanäle hinweg. Eine Meditation, eine Übung, eine Anregung.

Während die Liste der Produzenten und Koproduzenten und involvierten Parteien Zeugnis ablegt darüber, wie das globale Branding eines Festivals wie Cannes zu monetarisierbarem Prestige führen kann, und die einzigartige Sichtweise eines Künstlers wie Weerasethakul zu Partizipation:

Neben Tilda Swinton als Executiv-Produzentin, tauchen Namen auf wie Danny Glover, Dan Wechsler, Jia Zhanke, das Bejing Art Center, Arte, Medienbord Berlin-Brandenburg. Über zwanzig Einzelpersonen und noch einmal so viele Firmen und Institutionen.

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