Patricia Highsmith hat mit ihren Ripley-Romanen Weltbestseller geschrieben. Und mit «Carol» den ersten lesbischen Kultroman – unter Pseudonym. Sie war Partykönigin und Einsiedlerin, Katzenlady, und Tagebuchschreiberin. Jetzt ist sie das Zentrum eines Schweizer Dokumentarfilms, der ganz unverhohlen als Liebeserklärung auftritt: Loving Highsmith von Eva Vitija hat gestern die 57. Solothurner Filmtage eröffnet.
Wenn Patricia Highsmith in diesem Dokumentarfilm mit Passagen aus ihren Tagebüchern zu hören ist, fühle ich mich sicher und entrückt zugleich. Das liegt an der Stimme von Gwendoline Christie, welche in «Game of Thrones» die loyale, kampfkräftige Brienne of Tarth gespielt hat.
Eva Vitija hat die britische Schauspielerin als Sprecherin für die schriftlichen Highsmith-Erinnerungen gewonnen, ein Beispiel für die liebevoll und sorgfältig gesetzten Details in dieser Produktion.
Die Filmemacherin spricht kontrastierend dazu selbst, erzählt von ihren Entdeckungen beim Studium der Notizbücher und Tagebucheinträge, erklärt, wie sie sich in das dabei entstehende Bild dieser vor einem Vierteljahrhundert verstorbenen Autorin verliebt hat.
Wie elegant Eva Vitija Interviews mit Frauen aus dem Leben von Patricia Highsmith mit ihren Notizen verknüpft, überlagert, ergänzt, oder Szenen aus bekannten Highsmith-Verfilmungen direkt aus ihren Texten schlüpfen lässt, zeigt etwa ein Ausschnitt aus Hitchcocks Strangers on a Train, jener Verfilmung von 1951, welche die Autorin Highsmith fast über Nacht weltberühmt machte.
Da orientiert sich der Eindringling mit der Taschenlampe auf dem Wohnungsplan, den ihm sein Auftragsgeber gezeichnet hat. Und plötzlich taucht im Lichtkegel das Bild von Patricia Highsmith auf.
Oder Filmemacherin Eva Vitija erzählt davon, was sie in den Notizen von Highsmith gefunden hat, wie die Autorin immer mehr Details auf die Seite gekritzelt hat; die Schriftzüge füllen nach und nach die Leinwand vom geordneten Anfangsbild bis zum übervollen Plot-Diagramm.
Das Herzstück von Loving Highsmith aber bilden die Interviews mit Frauen, die wichtig waren in ihrem Leben, die ihre Leidenschaft geteilt haben, das Verstecken, die Nöte, die Lebenslust.
Etwa die heute 95jährige Autorin Marijane Meaker, welche die lesbische Pulp-Fiction mit erfunden hat und mit Highsmith zu Beginn der 1950er Jahre in New Hope, Pennsylvania, Haus, Tisch und Bett geteilt hat. Oder die Französin Monique Buffet, dank der Highsmith ihre aus Liebeskummer erwachsene Schreibblockade überwand. Oder auch der 2020 verstorbene deutsche Paradiesvogel Tabea Blumenschein.
Die Erinnerungen dieser geliebten und liebenden Frauen verbinden sich mit den Notizen, den Romanfiguren, früheren Highsmith-Interviews und den grossen Verfilmungen in Eva Vitijas elegantem, detailverliebten Dokumentarfilm zu einem blühenden Bild mit dunklen Einschlüssen und schmerzlichen Druckstellen.
Wirklich mitreissend und begeisternd ist dabei Eva Vitijas Freude am Schönen, Leidenschaftlichen und auch am Verlorenen ihrer Protagonistin. Sie beschönigt nichts, wischt nichts vom Tableau.
Selbst die vom Verlag grosszügig zensierten rassistischen und antisemitischen Bemerkungen, welche Patricia Highsmith mit zunehmendem Alter wie magische Bann-Flüche in ihre Notizen gekritzelt hat, finden Erwähnung, mit dem kommentierenden Satz der Filmemacherin, diese Schimpftiraden der alternden Autorin wirkten wie eine Rückkehr zum Südstaaten-Rassismus ihrer texanischen Grossmutter.
Loving Highsmith ist ein auf jeder Ebene ambitioniert und einfallsreich gestalteter Dokumentarfilm auf internationalem Niveau und gerade darum eine überzeugende Liebeserklärung, weil er Schmerz, Angst und Verletzung nicht ausspart.
SRF hat diesen Dokumentarfilm koproduziert
Weitere Vorführungen an den Solothurner Filmtagen: 22. / 25. Januar
Kinostart: 10. März 2022
In diesem Dokumentarfilm entfaltet sich eine Biografie, welche in der prüden Nachkriegszeit typisch war für viele lesbische Frauen und schwule Männer. Highsmith sah sich gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Partnerschaften scheiterten oder mussten geheim gehalten werden. Gegen Ende des Lebens blieb Einsamkeit. ‘Loving Highsmith’ erzählt sowohl die Biographie eines Weltstars der Literatur wie auch eindrückliche queere Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Soweit so gut. Aber ist ‘Loving Highsmith’ ein guter Dokumentarfilm geworden? Nein. Er krankt an formalen Unzulänglichkeiten. Und vielleicht an einem zu kleinen Budget? Zwei Beispiele: Regisseurin Eva Vitija hatte die Idee, sich selbst als subjektive Stimme einzubringen – aber ohne dass man sie sieht. Verwirrend. Welche Stimme hört man jetzt gerade? Die Erzählerin des Films, die Regisseurin, eine gelesene Passage aus Highsmiths Tagebuch? Zu oft sind die verschiedenen Stimmen aus dem Off nicht auseinander zu halten.
Und dann die Musik. Die Sologitarre des französischen Komponisten Noël Akchoté, welche den gesamten Film begleitet. Krampfhaft versucht er in einer Art freier Improvisation Bezug zu nehmen auf die Lebensorte von Patricia Highsmith (USA, London, Frankreich, Tessin etc). Einfach nur schrecklich.
Die Bücher von Patricia Highsmith sind sowohl qualitativ hochstehend wie auch unterhaltend und spannend. Das hat sie so erfolgreich gemacht. Dem Dokfilm ‘Loving Highsmith’ gelingt dies nicht. Inhaltlich qualitativ gut ja – unterhaltend und spannend nein. Schade.