DIE GOLDENEN JAHRE von Barbara Kulcsar

Esther Gemsch und Stefan Kurt © filmcoopi

Für das frischpensionierte Ehepaar Alice und Peter entpuppt sich der Start in Die goldenen Jahre als unerwartet dramatische Knacknuss. Petra Volpe (Die göttliche Ordnung) hat das Drehbuch geschrieben, Barbara Kulcsar (Nebelgrind) inszeniert Esther Gemsch, Stefan Kurt und Ueli Jaeggi in dieser Dramödie, die am ZFF ihre Premiere feierte.

«Unser Sohn ist ein Gigolo. Und unsere Tochter trinkt zu viel».

Das bemerkt der frisch pensionierte Peter (Stefan Kurt) gegenüber seiner Frau Alice (Esther Gemsch) am Schluss der grossen Feier mit Familie und Freunden.

Und schiebt grinsend nach: «Nümm üsses Problem!»

Hat sich die Kreuzfahrt anders vorgestellt: Alice (Esther Gemsch) © filmcoopi

Nicht nur darin täuscht sich Peter. Auch sonst beginnen die goldenen Jahre anders, als er sich das vorgestellt hat. Kaum hat er es sich auf dem Sofa bequem gemacht, kommt seine Frau mit dem Staubsauger an und erklärt, dass sie sich die Hausarbeit nun ab sofort teilen würden.

Es liegt nicht nur an Stefan Kurts Papa-Moll-Schnauz, wenn ich mich als Zuschauer erst mal in einer braven Schweizer Klischee-Komödie wähne. Barbara Kulcsar und ihr Kameramann Tobias Dengler nehmen die falschen Fährten von Petra Volpes Drehbuch dankbar auf.

Bunte Farben, enge Bildausschnitte, enge Nachbarschaft und die Idee, sich mit einer von den Kindern geschenkten Kreuzfahrt erst mal ins neue Leben einzustimmen, schnüren einem gleich mal die Brust zusammen.

Aber dann ist es Magalie, die Nachbarin und beste Freundin von Alice, die auf einer kleinen Wanderung der Frauen einen Herzinfarkt erleidet. Das stürzt Alice in eine doppelte Existenzkrise, weil sie merkt, dass ihre Freundin seit 15 Jahren eine Affäre hatte in Frankreich, von der sie ihr nie erzählt hat.

Während Peter vor Schreck zum Vegetarier und Fitnessfanatiker wird, und aus Mitleid – und zu Alices Entsetzen – auch noch den verwitweten Freund Heinz (Ueli Jaeggi) auffordert, sie auf die Kreuzfahrt zu begleiten.

Stefan Kurt, Ueli Jaeggi, Esther Gemsch © filmcoopi

Nun öffnen sich die Bilder des Films, die emotionalen Schleusen, die verdrängten Wünsche und der Frust einer erstarrten Ehe nacheinander, wie kleine Blüten am stacheligen Stamm eines Kaktus. In die Komik des verlegenen Biedersinns mischen sich Wut und revolutionäre Ideen.

Petra Volpes Drehbuch feuert eine Überraschung nach der anderen ab, den Figuren brechen zuerst ihre Gewissheiten weg, dann ihre Beziehungspläne. Und das spiegelt sich auch gleich noch in den Beziehungskonstruktionen ihrer Kinder.

Esther Gemsch und Stefan Kurt © filmcoopi

Bis die Alten sich an Neues wagen, Zöpfe, beziehungsweise Schnäuze abschneiden und Ideen entwickeln, wie sie sich gemeinsam eine andere Zukunft bauen könnten.

Das funktioniert als Film täuschend leichtfüssig. Einerseits, weil Esther Gemsch, Stefan Kurt und Ueli Jaeggi es schaffen, ihre Figuren über das erwartbare Klischee hinaus mit Glaubwürdigkeit und persönlicher Tragik zu beleben.

Andererseits aber auch, weil Barbara Kulcsar den zunehmend überraschenden Wendungen von Petra Volpes Drehbuch vor allem zu Beginn des Films mit betont braver Dramaturgie den Weg bereitet.

Wenn Freundin Magalie auf dem Wanderweg zusammenbricht, entspricht der darauffolgende Schnitt auf die Abdankungsfeier in der Kirche der einfachsten Fernsehmontage. Das Publikum fühlt sich auf der sicheren Seite, wie der eben pensionierte Peter. Und kommt dann mit ihm auf hoher See so richtig auf die Welt.

«Die goldenen Jahre» sind erstklassiges Handwerk auf jeder Ebene. Einfach, effizient und schliesslich überraschend ermutigend.

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