LA COCINA von  Alonso Ruizpalacios (Berlinale 2024, Wettbewerb)

Rooney Mara, Raúl Briones Carmona © Juan Pablo Ramírez / Filmadora

Diese Grossküche in New York, das ist mindestens der zweite Kreis der Hölle. Wenn nicht der erste. Unter der Fuchtel des Selfmade-Bosses Rashid (Oded Fehr) schuftet eine ausgesprochen diverse Küchenmannschaft im Untergrund von «The Grill», einer riesigen Abfütterungsstätte für Touristen am New Yorker Times Square.

Die meisten dieser modernen Arbeitssklaven sind illegal Eingewanderte, denen Rashid bei guter Führung Papiere verspricht, und, bei entsprechend heftigem Einsatz, von Anfang an einen brauchbaren Lohn.

Das gilt für die Küchenmannschaft, aber auch für die Kohorte der Servierfrauen.

Zu denen gehört die attraktive Julia (Rooney Mara), auf die Koch Pedro (Raúl Briones) mehr als ein Auge geworfen hat.

Die Anziehung ist gegenseitig. Aber die Schwangerschaft, die kann sie nicht brauchen. Darum geht sie in der Mittagspause in die Klinik, obwohl Pedro sie eindringlich davon abzuhalten versucht. Gleichzeitig hat er ihr die 800 Dollar zugesteckt, welche die Prozedur kosten soll.

Und in etwa der gleiche Betrag fehlt in der Kasse beim Buchhalter, als der die Register des Vorabends auszählt.

Er habe diesen Film machen wollen, seit er selbst in seinen jungen Jahren in London in so einer Grossküche gearbeitet habe, sagt der mexikanische Filmemacher Alonso Ruizpalacios. Das Theaterstück «The Kitchen» von Arnold Wesker, 1961 in Grossbritannien verfilmt, habe ihn in dem Vorhaben nicht nur bestärkt, sondern damals auch die unerträgliche Arbeit erträglich gemacht.

Gertan Klauber and Carl Möhner in ‚The Kitchen‘ (1961)

Der bis auf zwei entscheidende Szenen in Schwarzweiss gedrehte Film sei als «Anti-Foodporn» konzipiert, sagt der Regisseur. Das stimmt allerdings nur bedingt. Denn nicht nur Pedro, sondern die meisten seiner Leidens- und Arbeitsgenossen in dieser auf Touristen-Umsatz getrimmten Küche sind eigentlich Könner ihres Faches.

Wenn Pedro für Julia ein spezielles Sandwich zubereitet, oder für einen schnorrenden Penner statt der vom Boss verordneten billigen Suppe zwei Hummerhälften mit ein paar appetitlichen Beilagen in den Karton packt, dann läuft einem im Kino schon das Wasser im Mund zusammen.

Genau so oft aber kann einem übel werden, denn Blut, Schweiss und Tränen mischen sich mit den Nahrungsmitteln, lange bevor die Servierfrauen diese nach dem endlos piepsenden Takt des Thermopapierbestelldruckers holen kommen.

La Cocina ist furioses, extrem packendes und mitnehmendes Kunstkino.

Die Hierarchien in dieser Küche, die schwitzende, fluchende, singende und krakeelende Leidensgenossenschaft all dieser modernen Arbeitssklaven mit ihren Ritualen, Träumen, Aggressionen und Hoffnungen, das erinnert bisweilen an das Genre der U-Boot-Filme mit ihren Zwangsgemeinschaften in Lebensgefahr.

Und sogar dort, wo Ruizpalacios seinem Kunstwillen etwas gar heftig die Zügel schiessen lässt, kommt die Belohnung, der glorifizierte «money shot», jene eine, hinreissende Einstellung, welche nachträglich alles wieder zusammenbindet.

Zu den Küchen- und Kochfilmen dieser Welt, die mit Frederick Wisemans Menus plaisirs – Les Troisgros und Tran Anh Hungs La passion de Dodin Bouffant eben um zwei Meisterwerke erweitert wurden, gesellt sich mit La Cocina nun ein weiteres, deutlich stachligeres.

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