IN LIEBE, EURE HILDE von Andreas Dresen (Berlinale 2024, Wettbewerb)

Johannes Hegemann, Liv Lisa Fries © Frederic Batier / Pandora Film

Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg oder die «Weisse Rose» sind längst verklärte Symbolgestalten des deutschen Gewissens. Andreas Dresens In Liebe, eure Hilde erzählt dagegen vom kleinen Widerstand gegen den Naziterror und den Krieg mitten in der Bevölkerung.

Hilde Coppi wurde am 5. August 1943 in Berlin Plötzensee guillotiniert. Adolf Hitler persönlich hatte ihr Gnadengesuch abgelehnt.

Hilde Coppi gehörte mit ihrem Mann Hans zu der von der Gestapo als «Rote Kapelle» zusammengefassten Gruppe lose und lokal organisierter Widerstandsaktivisten. Vorwiegend junge Leute, die mit Flugblättern, Funkkontakten ins Ausland und mit Briefen zum Verbleib deutscher Kriegsgefangener an deren Angehörige gegen den Krieg, das Vergessen und die Propaganda ankämpften.

Als Hilde Coppi am 12. September 1942 verhaftet wurde, war sie 33 Jahre alt und hochschwanger.

Andreas Dresens Film setzt am Tag von Hildes Verhaftung ein. Sie pflückt Erdbeeren im Garten mit ihrer Mutter, als zwei schwarze Wagen vorfahren mit Männern, die das Häuschen durchsuchen und da unter anderem den kleinen Koffer mit dem Funkgerät finden.

Von nun an bewegt sich der Film, dessen Drehbuch von Dresens Hausautorin Laila Stieler stammt, auf der Zeitachse in zwei Richtungen. Je weiter wir Hilde vom Verhör, über die Geburt ihres Sohnes im Gefängnis, bis zum Prozess und der Hinrichtung begleiten, desto mehr erfahren wir über ihr Leben, über den Sommer mit Hans Coppi, über ihren kriegsabwesenden ersten Mann Franz, ihre kranke Mutter, ihre jüdische Schwiegermutter.

Der Film springt immer weiter in die Monate vor der Verhaftung zurück, zeigt lebenslustige junge Menschen, die am See zelten, sich verlieben, Sex haben, ihrer Arbeit nachgehen und nebenbei immer wieder kleine Widerstandsaktionen durchführen, mit Idealismus und durchaus auch einer gewissen Abenteuerlust.

Andreas Dresens grosse Stärke sind alltägliche Szenen mit Menschen, die sich unspektakulär echt anfühlen. Seine Figuren geben keine erklärenden Sätze von sich, das Bild der einzelnen Männer und Frauen ergibt sich vielen kleinen Szenen, die sich ergänzen.

Das funktioniert gut in Dresens gegenwärtig spielenden Filmen wie Sommer vorm Balkon (2005) oder Halt auf freier Strecke (2011), aber auch in seinen Explorationen in die einstige DDR wie Gundermann (2018).

Es funktioniert aber auch überraschend gut in diesem Film, der leicht in eine historisierende Funduskostümorgie hätte abgleiten können – das aber unauffällig vermeidet.

Es gibt kaum Musik in dem Film und keine einzige Hakenkreuzfahne. Das BMW-Motorrad mit Seitenwagen, mit dem Hans Coppi herumknattert, ist zeitlich korrekt verortet wie die restliche Ausstattung. Aber alltäglich, wie die Menschen, die sich in diesem Film den Sommer teilen, und ein wenig die mögliche Gefahr – bis diese in tödliche Gegenwart umschlägt.

Dresen sagt, er habe jede Heroisierung vermeiden wollen. Er sei in der DDR aufgewachsen, in der die Widerstandskämpfer gegen die Nazis regelrecht verklärt wurden:

«Sie waren Lichtgestalten, fast Götter, neben denen man sich dann folgerichtig ziemlich klein, erbärmlich und mutlos vorkam. So heldenhaft könnte ich nie sein, sagte man sich, und das ist natürlich systemerhaltend. Die Verklärung war also politisch gewollt. Die eigene Bevölkerung sollte nicht auf die Idee kommen, loszulaufen.»

«In Liebe, eure Hilde» schafft keine Lichtgestalten. Der Film zeigt Menschen mit einem moralischen Kompass und einem Sinn für Gerechtigkeit, im Alltag.

Regisseur Andreas Dresen © Rommel Film

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